Über „The Sea Within“ von Lisbeth Gruwez / Voetvolk

Wann: 24.01. + 25.01.
Wo: tanzhaus nrw
Reihe GROSS TANZEN

Grenzenlose Tiefe von Charlotte Decaille

Inwiefern sind Frauen prädestiniert, Opfer ihres Geschlechts zu werden? Verformt und zurechtgerückt, in eine Schublade voller Erwartungen und Anforderungen gesteckt – auch heute lassen die meisten gesellschaftlichen und sozialen Strukturen eine stereotypisierte Rollenverteilung und eine mehr oder minder offene Bevormundung von Frauen zu. Was und wie Frauen sein können, nach welcher Ordnung und nach welcher Zeit sie zu leben haben oder was ihr Körper alles tun darf, sollte nicht Teil einer öffentlichen Debatte, sondern eine Frage der Selbstbestimmung sein. Die belgische Choreografin Lisbeth Gruwez greift diesen immerfort bestehenden Konflikt auf und positioniert in ihrer Performance „The Sea Within“ im Rahmen der Reihe GROSS TANZEN im Tanzhaus NRW zehn Tänzerinnen der Kompanie Voetvolk als Individuen, als starke Persönlichkeiten und als eine noch viel stärkere Gruppe, die sich solidarisch gegen das leidvolle Erdulden gesellschaftlicher Stereotypen stellt und sich in ästhetischer Form von diesen verabschiedet. Weiterlesen

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Über „Soul Chain“ von tanzmainz / Sharon Eyal

Wann: 28.09. + 29.09.
Wo: tanzhaus nrw
Reihe GROSS TANZEN

Vom Ende der Einsamkeit von Charlotte Decaille

Das Gefühl, das jeder Mensch kennt und entweder liebt, hasst oder leugnet ist die Einsamkeit. Sie ist das vielleicht menschlichste aller Gefühle, welchem wir oftmals viel zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Wir begründen sie mit unserem Alleinsein und glauben, dass das wahllose Zusammensein in Beziehungen der heutigen Schnelllebigkeit ihr Gegengift sei. Doch viel mehr überkommt die Einsamkeit uns, wenn wir im undurchschaubaren Geflecht von Menschen nicht wir selbst sein können und uns selbst aus den Augen verlieren. Die israelische Choreografin Sharon Eyal und die 17 Performer*innen der Kompanie tanzmainz heißen die Einsamkeit auf der Bühne des Tanzhaus NRW innerhalb der Reihe GROSS TANZEN willkommen und erschaffen mit „Soul Chain“ ein nachhaltiges Momentum der Gefühle. Weiterlesen

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Über „ATARA – for you, who has not yet found the one“ von Reut Shemesh

Wann: 14.05. + 15.05.
Wo: tanzhaus nrw
tanz nrw 19

Im Kreis der Familie von Ina Holev

Ruhende Hände über einem Gebetsbuch, eine verschleierte Braut, nachdenkliche Frauen in Perücken. Zu Beginn der Performance „ATARA – for you, who has not yet found the one“ geben atmosphärische Fotos bereits einen Einblick in das Leben streng orthodoxer jüdischer Frauen, in diesem Fall aus der Gruppe der Chassidim. Es ist ein sehr persönliches Thema, dem sich die aus Israel stammende und in Köln lebende Choreografin Reut Shemesh widmet. Während ein Teil ihrer Familie eher säkular geprägt ist, lebt ein anderer Teil streng religiös. Die Performance fand im Tanzhaus NRW im Rahmen des Festivals tanz nrw 19 statt und soll eine performative Annäherung an die chassidische Lebensweise bilden. Weiterlesen

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Gast-Blogbeitrag: Über „Bodies and Structure“ von Alexandra Waierstall

Annika Weisenburger, Kulturpädagogikstudentin der Hochschule Niederrhein, besuchte die Vorstellung „Bodies and Structure“ von Alexandra Waierstall und fasst ihre Eindrücke des Abends in einem Gedicht zusammen: „Das Stück hat mich wirklich sehr inspiriert und die Worte kamen mir einfach dazu in den Sinn.“ Weiterlesen

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Über „CROWD“ von Gisèle Vienne

Wann: 26.04. + 27.04.
Wo: tanzhaus nrw
Reihe GROSS TANZEN

Fiktive Nähe von Charlotte Decaille

15 Tänzer*innen, 15 emotionale Zustände, 15-mal die Möglichkeit, Teil einer offengelegten, chaotischen Gefühlswelt zu werden. Eine Welt, die in Ekstase verfällt und in einer „CROWD“ aufgefangen, weggestoßen und gehalten wird. Die französisch-österreichische Choreografin Gisèle Vienne und der amerikanische Autor Dennis Cooper inszenieren mit „CROWD“ im Tanzhaus NRW eine Partyszene aus den frühen 90ern und spielen bewusst mit der Darstellung von verschiedenen Persönlichkeiten, die mithilfe ihrer Bewegungen bestimmte Charakterrollen einnehmen. Sie sind nicht nur Teil einer homogenen, feierwütigen Menge, die sich benommen über die Tanzfläche bewegt. Sie sind Individuen, die sich im Rausch der Musik und des Tanzes mit ihrer Umwelt, doch vor allem mit sich selbst und dem Jetzt auseinandersetzen. Weiterlesen

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Über „Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival“

Wann: 13.03. – 31.03.
Wo: tanzhaus nrw

Für alle, die beim Festival „Hi, Robot!“ leider nicht dabei sein konnten: Hier geht’s zu den Festivalberichten unserer Bloggerinnen Estella, Charlotte und Laura!

#1 Are our bodies here to stay? von Estella Eckert
#2 Diagnose „Mensch“ von Charlotte Decaille
#3 Zwischen Fortschritt und Softwarefehler von Laura Lindemann

Are our bodies here to stay? von Estella Eckert

Seit E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“, in dem die menschenähnliche Holzpuppe Olimpia mit ihrem Tanz den Protagonisten Nathanael verzaubert, sind 200 Jahre vergangen. Humanoide Roboter sind jedoch längst keine Fiktion mehr. Sie existieren als „Sophia“ (Hanson Robotics Hongkong), ausgestattet mit K.I. zur Gesichtserkennung und als mehr oder weniger exakte Kopie ihres Erbauers wie bei dem japanischen Forscher Hiroshi Ishiguro. Künstliche Intelligenz und Robotik sind Teil unseres täglichen Lebens geworden. Alexa und Siri führen (mehr oder weniger zuverlässig) unsere Befehle aus, in der Industrie arbeiten Mensch und Maschine nebeneinander, vielleicht fahren in zwanzig Jahren nur noch selbstfahrende Autos auf den Straßen. Die Fragen rund um die Problematik Mensch-Maschine sind seit Hoffmann jedoch ähnlich geblieben: Wer beherrscht hier wen? Kann eine Maschine lebendig sein, mit Gefühlen, einem Gewissen, Hoffnungen und Träumen? Was macht uns zum Menschen und die Maschine zur Maschine? Werden unsere Körper überflüssig und abgelöst werden? Erlangen wir vielleicht sogar Unsterblichkeit durch den Technokörper?

Vom 13. – 31. März setzte sich das Tanzhaus NRW im Rahmen von „Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival“ mit eben jenen Fragen künstlerisch auseinander.
Die österreichische Choreographin und Tänzerin Doris Uhlich nutzt bei der Uraufführung ihrer Soloperformance „TANK“ die von ihr entwickelte „Fetttanztechnik“, um sich an die Problematik Mensch-Maschine anzunähern. In einem durchsichtigen Zylinder aus Plexiglas, der an ein überdimensionales Reagenzglas erinnert, bleibt Uhlichs Körper anfangs durch den verstärkten Einsatz der Nebelmaschine verborgen, lediglich ein Fuß, ein Paar Haarsträhnen oder eine Hand tauchen auf der Scheibenoberfläche auf. Sie wirkt unheimlich, zombiehaft, schwebend, ungreifbar. Als der Nebel sich lichtet und ihr nackter menschlicher Körper hell ausgeleuchtet erscheint, schmettert Uhlich das schwingende und wabbelnde Fleisch um ihre Knochen, den Schweiß auf ihrer Haut und ihre langen Haare und gegen die gekrümmte Scheibe. Ihre Bewegungen sind repetitiv, maschinell, dabei jedoch keineswegs perfekt. Sie verausgabt sich bis zur totalen Erschöpfung, der Zylinder wird zunehmend undurchsichtiger vor Schweiß und Körperabdrücken. Später tritt sie aus dem Zylinder heraus und sinniert mit technisch verzerrter Stimme: „Where is my sweat? I want to smell my body! Is my body out of age? Stick the needle in my vein. Repair and repair. This body isn’t here to stay.“ Währenddessen dreht eine ältere Dame ironisch rauchend eine Runde auf der Bühne. Uhlich zelebriert mit „TANK“ die Vergänglichkeit des Körpers und lehnt sich auf gegen das Zeitalter der zunehmenden Selbstoptimierung.

Einen ähnlich kritischen Blick auf aktuelle technische Entwicklungen wirft Martin Nachbar mit „This Thing I Am“. In seiner melancholischen Zukunftsvision aus dem Jahr 2125 tragen wir Chips unter der Haut, die all unsere Daten in Echtzeit an die „cloud“ übertragen. Sogar in der Unterhaltungsindustrie wurden wir von Robotern ersetzt. Die Menschen versuchen unterdessen, sich wieder an die Natur anzunähern, sich in Bäume zu verwandeln. Die drei Performer*innen tragen low-budget-Kostüme bestehend aus Alltagskleidung mit glitzerndem Stoff, gespickt mit großen schwarzen Wäscheklammern. Im Hintergrund hängt eine wandfüllende Leinwand, auf der eine abstrakte Landschaft in grauem Farbverlauf zu erkennen ist. Die Choreografie der Performer*innen erinnert stark an eine immerwährende Kontaktimprovisation. Später befestigen sie Schnüre an ihren Wäscheklammern, spielen mit den sich ergebenden Konstellationen und Figuren, verlieren sich im Knäuel. Eine Anlehnung an Donna Haraways „Playing with String Figures“ aus ihrem zukunftsweisenden Buch „Staying with the Trouble“? Leider bleibt Nachbar sowohl in seiner Konzeption, als auch in seiner Inszenierung, enttäuschend unkonkret. Seine Zukunftsvisionen, in der Popkultur schon mehrfach durchexerziert, erscheinen antiquiert.

Gänzlich anders verhält es sich bei der Inszenierung „Discrete Figures 2019“. Diese spektakuläre deutschen Erstaufführung ist eine Zusammenarbeit des japanischen Forschungskollektivs Rhizomatiks Research, der Performerinnengruppe ELEVENPLAY und des Künstlers/Programmierers Kyle McDonald. Statt über die Zukunft nachzugrübeln hat man hier den Eindruck, sich bereits in der Zukunft zu befinden. Menschliche Körper treffen auf Künstliche Intelligenz, Drohnen und CGI-Technik. Im Gegensatz zu Doris Uhlich in „TANK“ verausgaben sich die fünf Performerinnen von ELEVENPLAY, scheinbar ohne zu ermüden. Sie tragen leuchtend weiße, gut geschnittene Kostüme und ordentliche Frisuren. Ihre Bewegungen gehen ins Pantomimische, ins Puppenhafte. Zeitweilig erscheinen die Effizienz und Heftigkeit ihrer Bewegungen geradezu unheimlich. Mensch-Maschine-Verbindungen werden hier nicht problematisiert, sondern als magisch anmutende Symbiose spektakelhaft zur Schau gestellt. Durch Motion Capturing werden ihre Bewegungen aufgenommen, dann abstrahiert und schließlich digital als geometrische Formen oder Lichtschweife auf metallene Rahmen oder der Leinwand auf der Bühnenrückseite projiziert. Später erscheinen dort sogar digitale Kopien der Performerinnen, ähnlich wie bei dem lebenssimulierenden Computerspiel „Die Sims“. Es entstehen fesselnde pas de deux zwischen den Performerinnen und ihren visualisierten Hologrammen. Liegt die ersehnte Unsterblichkeit vielleicht gar nicht im Roboter, in der maschinellen Kopie aus Metall und Plastik, sondern im digitalen Raum? „Discrete Figures“ ist eine Zaubershow, die zum Staunen über die „Wunder der Technik“ anregen soll. Während Uhlich in „TANK“ selbstbestimmt, stark und doch verletzlich auftritt, erscheinen die Performerinnen in „Discrete Figures“ jedoch fremdbestimmt. Der dem Stück inhärente „male gaze“ (männliche Blick) wird besonders durch die Figur des Kameramanns deutlich, der um die Performerinnen herumschwirrt, ihre Bewegungen einfängt. Die Performerinnen von ELEVENPLAY dienen als Leinwand, als ausführende Kräfte für die Zurschaustellung der technischen Leistungen des (männlich besetzen) Teams von Rhizomatik Research und Kyle McDonald.

Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Mensch und Maschine strebt die Performance „The most human“ des schwedischen Choreografen Robin Jonsson an. Alex, ein humanoider Roboter, unter einem Meter groß und deutlich als Maschine erkennbar mit seiner Hülle aus weißem und metallisch blauem Hartplastik, tanzt gemeinsam mit der menschlichen Performerin Olivia Riviere, die in ihrem blau-weißen Sportanzug einer Pokémon-Trainerin ähnelt. Zur Lasershow mit Diskomusik führen beide synchron oder im Kanon die gleichen Bewegungen aus. Alex und Olivia sind ein gutes Team, ihr Tanz ist vielleicht etwas eintönig und repetitiv, durch die Natur von Alex bleibt er jedoch für die Zuschauer*innen spannend. Später spricht Alex mit seiner hohen, unschuldigen Stimme zum Publikum: „I want to feel pain. Will you remember me?“ Alex ist selbstlernfähig, kann durch die Kameras in seinen Augen sehen, sowie sprechen und zuhören. Wie einst bei Pinocchio sind seine Wünsche ein Hinweis auf das Bedürfnis, als „richtiger Junge“ wahrgenommen zu werden. Im Gegensatz zu den perfekten Illusionen in „Discrete Figures“ erscheint Alex keineswegs unheimlich. Er ist so offensichtlich eine Maschine, dass das Publikum ihm mit Wohlwollen begegnet.

In allen vier Inszenierungen wurde eines deutlich: Unsere Körper sind mit denen der Maschinen verwoben, ob wir das nur problematisieren oder zelebrieren wollen. Künstlerische Forschung, wie sie im Rahmen des Festivals „Hi, Robot!“ gezeigt wurde, ist von zentraler Bedeutung, wenn wir über die Problematik Mensch-Maschine nachdenken. Denn wie wir in Zukunft leben werden, sollte nicht hinter verschlossenen (Labor-)Türen verhandelt werden.

Diagnose „Mensch“ von Charlotte Decaille

Der Mensch macht den Status quo zu einem äußerst schwer greifbaren Zustand. Er hat eine Form der Überlegenheit internalisiert, welche ihn zunehmend in die Rolle des Erschaffers schlüpfen lässt, ein Erschaffer, der nach unersättlicher und rapider Optimierung der eigenen Person sowie der Optimierung der Gesellschaft strebt. Das Mensch-Maschine-Festival „Hi, Robot!“, initiiert durch das tanzhaus nrw in Kooperation mit dem NRW-Forum und dem Black Box-Kino des Filmmuseums Düsseldorf, ermöglichte seinen Besuchern den momentanen Entwicklungsstand mehr und minder gesellschaftsfähiger Maschinen in Form von Tanz, Musik, Film und einer Ausstellung unter Staunen und Unglauben zu erleben.

Bereits 1990 erschuf Tim Burton „Edward mit den Scherenhänden“. Eine Maschine mit menschlichem Erscheinungsbild, die fähig ist, Gefühle wahrzunehmen, zu empfinden und auszudrücken. Der Ausdruck dieser Gefühle ist jedoch unkontrolliert und willkürlich. Ein Defizit, das zu der Diagnose „gesellschaftsunfähig“ führt. Burton suggeriert hiermit, dass künstliche Lebensformen auf einem erstaunlich hohen Standard existieren können, die Maschine dem Menschen jedoch nicht ebenbürtig sein kann.

Robin Jonsson geht mit „The most human“ auf diese Diagnose ein und fragt, wie fortgeschritten die Interaktion zwischen Mensch und Maschine sein muss, damit diese mit Blick auf die Zukunft gleichwertig agieren können. Alex, ein unscheinbarer, humanoider Roboter, ist bemüht dem Menschen ähnlicher zu werden. Er spricht, er lacht, er hustet kindlich – wir nehmen ihn als etwas wahr, das uns optisch nicht unähnlicher sein könnte, aber ein Gefühl der Empathie in uns auslöst. Alex‘ Bewegungen verlieren ihre Steifheit, passen sich der Geschmeidigkeit seiner menschlichen Tanzpartnerin an, zu welcher er eine kontinuierlich wachsende Bindung entwickelt. Eine Bindung, die jedoch nur auf Erinnerungen und nicht auf einem tiefgründigen, emotionalen Empfinden gründet.

KUKA ist Huang Yis Tanzpartner. Spiegelbildartig und komplementär reagieren sie auf die Emotionen und Bewegungen des jeweils anderen. KUKAs Fürsorge für Huang Yi wirft die Frage auf, ob tatsächlich eine reflektierende Wahrnehmung der Realität der Gefühle in ihm verankert ist oder ob sein Handeln lediglich durch ein routiniertes Verständnis für bekannte emotionale Ausdruckweisen geleitet wird. Wir erschaffen sie auf unnatürlichste Art und Weise und doch sind wir uns nicht sicher, wie viel autonomes Eigenleben ein Roboter wie KUKA oder Alex tatsächlich besitzt oder wie wahrhaftig die projizierten Tänzerinnen in „Discrete Figures 2019“ über den Boden gleiten. Was den Menschen menschlich macht, was ihn momentan noch von der Maschine unterscheidet, ist nicht der Körper als solches, sondern die Körperlichkeit. Doris Uhlich durchläuft in „TANK“ eine Transformation zu der unnatürlichsten Form des Menschen. Der Verlust jeglicher Körperlichkeit, der Verlust des Schwitzens, des Atmens, des Fühlens, entspringt der Idee der Optimierung, der Reduzierung auf die bloße Existenz des Körpers. Ein nackter und entmenschlichter Körper, der der Technik entgegenstrebt, während die Technik zunehmend Mensch wird.

Der Punkt, ab welchem wir Maschinen als gleich anerkennen können, ist nicht determiniert und zunehmend weniger determinierbar. Der Mensch ist nicht nur Entwickler der Technik, er entwickelt sich unbewusst mit ihr. Das Festival „Hi, Robot!“ ermöglichte einen aktiven Diskurs, um dieser Entwicklung bewusst begegnen zu können, das Fremde, den technologischen Fortschritt und den Status quo kurzweilig greifbarer zu machen, künstlerisch, doch kritisch.

Zwischen Fortschritt und Softwarefehler von Laura Lindemann

„Ich kriege die Zeit nicht mehr auf die Reihe.“ Eine der Tänzer*innen fasst sich an die Stirn, versucht, sich zu sammeln und zu sortieren. Die Bühne verdunkelt sich systematisch. „Und ich will dafür sorgen, dass keine Erinnerungen verloren gehen“, spricht ein anderer Tänzer das Publikum an. „Dafür musste ich viele Software-Updates über mich ergehen lassen.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht verlässt er die Bühne. Währenddessen versuchen zwei weitere Tänzerinnen Gleichgewicht zu finden, halten sich gegenseitig fest. Dabei verknoten sie sich immer mehr, ziehen und zerren aneinander bis sie schließlich zu Boden sinken. Funktionsstörung. Klassischer Softwarefehler.
Die drei Performer*innen zeigen das Stück „This Thing I Am“, choreografiert von dem in Berlin lebenden Choreografen, Performer und Forscher Martin Nachbar auf der Kleinen Bühne im Tanzhaus NRW. Ein realistisches Szenario? Denn was passiert, wenn sich die Welt zunehmend auf Künstliche Intelligenz verlässt? Wenn der Drang nach Selbstoptimierung die eigene, individuelle Entwicklung hemmt? Ob der biologische Körper nur ein Auslaufmodell ist? Fragen, mit denen sich das „Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival“ vom 13. bis 31. März im Tanzhaus NRW in Düsseldorf beschäftigte. Im Rahmen des Festivals fanden über 20 Veranstaltungen, zusätzlich Ausstellungen, Workshops und Diskussionsrunden statt.

Die Performer*innen tanzen mit geschwungenen Bewegungen, berühren sich gegenseitig, wenden sich wieder voneinander ab. Sie kommunizieren über ihre Körper. Folgen dem gleichen Rhythmus. Wie weit reichen ihre Gliedmaßen vom Körper weg? Wie ist das Verhältnis von ihren Füßen zum Boden? Sind sie standhaft oder müssen sie optimiert werden? Es ist ein Austesten und Erforschen der eigenen Körperlichkeit. Während des gesamten Stücks verschwimmen die Grenzen zwischen Körper und Technik immer mehr. Fließende Bewegungen enden in einem mechanischen Kontrollverlust, Urwaldgeräusche vermischen sich mit futuristisch-elektronischen Klängen. „Ich muss mich zusammenreißen, denn ich erfinde mich immer wieder neu und löse mich dann wieder auf“, sagt die Performerin mit monotoner Stimme, während sie mit leerem Blick ins Publikum starrt. Es stellt sich also die Frage: „Wieviel Roboter verträgt der Mensch?“
Selbstoptimierung bedeutet nämlich auch Fortschritt. Deutlich wurde das in der Ausstellung „Körperwelten“ im NRW Forum in Düsseldorf. Hier finden sich Werke von Künstlern wie Nam June Paik bis hin zu Hiroshi Ishiguro. Beim Hereinkommen werden die Besucher*innen von einem Roboter begrüßt, der seinen mechanischen Rumpf klackend hin und her bewegt. Auf einer Leinwand spielt sich eine Performance ab, in der eine Frau eine Prothese über ihren Stumpf streift. Dieser technische Fortschritt ermöglicht ihr das Laufen und damit eine neue Lebensqualität. Sie strahlt und scheint mit der Optimierung ihres Beines zufrieden. Die Prothese dient als Helfer, als mechanischer Anker, der ihr Gleichgewicht verleiht und sie mit beiden Beinen im Leben stehen lässt.

Unterdessen wirft die südkoreanische Choreografin, Tänzerin und Performerin Geumhyung Jeong einen kritischen Blick auf die eigene körperliche Entfremdung und die Macht der Technik über den Menschen. In ihrer Performance „7ways“ verwandelten sich sieben materielle Gegenstände wie eine Schaufensterpuppe, ein Staubsauger, oder ein Koffer in lebendige Figuren. Zu Beginn scheint die Tänzerin neugierig auf die neu entstandenen maschinell hergestellten Individuen, ertastet und bestaunt sie. Versucht mit ihnen zu kommunizieren. Doch die Beziehungen laufen ins Leere. Die Gegenstände verschaffen sich Macht in Form von Vergewaltigung und bleiben am Ende jeder Performance regungslos auf dem Boden liegen. Doch können Maschinen zur Rechenschaft gezogen werden? Wer sind die Schuldigen? Die Erschaffer oder die Erschaffenen?
Die drei Inszenierungen setzten sich auf unterschiedliche Art und Weise mit der schleichenden Technisierung und Optimierung in der modernen Gesellschaft auseinander. Der Fokus ist kritisch auf die immer mehr verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Maschinen gerichtet. Höher, schneller, weiter lautet das Motto. Was auf der einen Seite als Fortschritt gilt, zeigt auf der anderen die immer größer werdende Macht der Technik über den Menschen, welcher sich nach und nach von sich selbst zu entfremden scheint.

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Über „TANK“ von Doris Uhlich

Wann: 14.03. + 15.03.
Wo: tanzhaus nrw
Uraufführung
Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival

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Doris Uhlich TANK Foto Axel Lambrette

#1 Was bleibt vom Körper?! von Christina Sandmeyer
#2 Brave New Bodies von Ina Holev
#3 Kreatur hinter Glas von Kai Kopel
#4 Science Fiction in der realen Welt von Gamze Can

Was bleibt vom Körper?! von Christina Sandmeyer

Das rund zweiwöchige „Hi, ROBOT! Das Mensch Maschine Festival“ im tanzhaus nrw widmet sich der Zukunft der Körper in den Künsten und stellt die Frage „Wie viel Roboter verträgt der Mensch?“. Damit gilt es aber auch, den Blick einmal zu wenden und zu untersuchen, was das Mensch-Sein in einer zunehmend technisierten Zeit (in der wir ein Mensch Maschine Festival feiern) eigentlich noch ausmacht. An dieser Bestandsaufnahme des Wesens Mensch versucht sich die österreichische Performance-Künstlerin Doris Uhlich in ihrem aktuellen Stück „Tank“, das am 14.03. im tanzhaus seine Uraufführung feierte. Wie auch schon in ihren letzten Arbeiten (zuletzt war von Uhlich 2018 „Every Body Electric“ im tanzhaus zu sehen) werden in „Tank“ Körperlichkeit und Nacktheit als Phänomene verhandelt, diesmal steht Uhlich jedoch alleine auf der Bühne – genauer gesagt in einem Tank. So steht im Bühnenraum auf einem Podest ein großer Glastank, der einem überdimensionierten Reagenzglas gleicht. Zunächst ist dieser komplett mit Nebel gefüllt. Durch den Nebel, der langsam aus den Löchern oben am Tank strömt, erkennt man Andeutungen einer sich bewegenden Silhouette. Immer wieder werden einzelne Körperteile an das Glas gepresst, wodurch sie eindeutig konturiert erkennbar sind und die Ahnung bestätigen, dass da ein Mensch (ein nackter Mensch) hinter dem Glas ist. Die direkte Berührung von Körper und Glaswand entfaltet dabei kraftvoll die spezifische, durch den Tank geschaffene Raumsituation. So schafft dieser eine abgeschlossene Blase, ist aber dennoch durchlässig für den Blick von außen, und auch von innen. Der sich zunehmend im Raum verteilende Nebel erinnert daran, dass wir uns dennoch im gemeinsam geteilten Gesamt-Raum – der Aufführungssituation – befinden.
Der Körper im Tank erscheint wie ein ausgestelltes Objekt, das wir Zuschauende nun mit einem wissenschaftlich-analytischen Impetus betrachten. Denn durch die zu Anfang einzeln inszenierten Körperteile und die Tatsache, dass Uhlich ihre Haare über dem Gesicht liegen hat, wirkt der Körper als Ganzes nicht individuell oder personengebunden, sondern eher wie eine modellhafte Darstellung – gesichtslos eben. Bedeutend hinzu kommt die mediale Aufladung der Figuration des Tanks bzw. menschengroßen Reagenzglases durch diverse Science-Fiction-Filme. Vor dieser Folie befindet sich der Körper im Tank in einer Laborsituation, offen für Optimierungs- und Umbaumaßnahmen. Im Bewegungsfluss der Performance werden entsprechend immer wieder Körperbilder entwickelt, die ungewohnt und experimentell sind, da sie mit der Vorstellung des aufrecht stehenden, klar definierten (Tänzer*innen-)Körpers brechen. Besonders eindringlich ist dabei die sogenannte „Fetttanztechnik“ Uhlichs. Hier greift sie sich mit viel Kraft in ihr Bauchfett und schüttelt dieses. Geradezu offensichtlich drängt sich damit die Frage nach der Materialität des Menschen bzw. die Aufforderung den menschlichen Körper überhaupt als Material zu begreifen auf. In dieser Hinsicht ist bemerkenswert, dass Uhlich in einem Interview erklärt, sie habe ihren Körper für die besagte Tanztechnik „weitergebaut“ und eine Fleischprothese angelegt. Der Fetttanz gewinnt durch diese doppelte Codierung weiter an Ausdrucksstärke.
Im Verlauf der Performance wird das Thema der körperlichen Umbaumaßnahmen (Selbstoptimierung?) dann auch über sprachlich-melodische Beiträge weiter in den Fokus gerückt, wenn es z.B. heißt: „Re-combine my DNA, this body isn’t here to stay.“ Dadurch erfährt das Stück eine starke thematische Aufladung und legt eine bestimmte Lesart nahe. Aber vielleicht gilt es hier, die Laborsituation auf der Bühne auch für uns Zuschauende weiterzudenken: Denn letztendlich stellt diese verbale Lenkung auch eine Form des Dazu-Tuns dar, eine bedeutungsschwere Prothese, mit der man umgehen muss… Als Uhlich den Tank später verlässt und sich frei durch den Bühnenraum bewegt, zeigt sich die extreme alterierende Wirkung des Tanks. Steht dieser in der Sci-Fi-Tradition doch für die Isolation unbekannter und ggf. gefährlicher Lebensformen. Entsprechend wirkt die Sequenz außerhalb des Tanks seltsam bedrohlich. Diese Entfremdungstendenz des Körpers scheint sich zum Ende des Stücks dann final zu erfüllen, als Uhlich wieder im Tank ist und sich dieser abrupt bis zur völligen Unsichtbarkeit mit Nebel füllt. Was bleibt vom Körper?

Brave New Bodies von Ina Holev

Die Performerin Doris Uhlich scheint in einem Tank gefangen. Mitten auf der dunklen Bühne steht dieser Glasbehälter. Umgeben von Kunstnebel führt Uhlich darin minimale Bewegungen aus. Ihr ganzer Körper scheint zu zittern, sie ist nackt und das lange Haar fällt ihr nass ins Gesicht. Unheimliche, technoide Klänge schwingen durch den Raum. Eine Szene, wie aus einem Science-Fiction-Film, etwa aus dem Intro des Anime „Ghost in the Shell“. Die Uraufführung von „TANK“ ist Teil des Festivals „Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival“, welches vom Tanzhaus NRW initiiert, an verschiedenen Standorten in Düsseldorf stattfindet. Hier steht die Zukunft des menschlichen Körpers im Fokus. „Cyborgs sind unsere Ontologie“, schrieb die feministische Philosophin und Biologin Donna Haraway bereits 1985 in ihrem berühmten Text „Ein Manifest für Cyborgs“. Haraway plädiert dafür, die Cyborgfigur als feministische Metapher zu nutzen und sich das Potential dieses hybriden und widersprüchlichen Mischwesens aus Mensch und Maschine anzueignen. Es ist eine kämpferische Figur, die sich aus ihrem Ursprung aus der Militärtechnik befreit.
Die Figur in Uhlichs Performance bleibt zunächst jedoch innerhalb ihres Tanks eingeschlossen. Schutzlos, aber auch stark gibt sie sich dem Publikum preis. Mal liegt sie auf dem Boden, mal breitet sie ihre Arme komplett im Tank aus. Ihre Bewegungen sind zugleich körperlich-organisch dann wieder roboterhaft und stumpf. Es ist faszinierend, wie sehr sie durch kleine Bewegungen ihren Ausdruck verändert. Uhlich greift sich selbst an den Bauch und macht die leibliche Präsenz ihres Körpers spürbar, obwohl eine Glaswand sie vom Publikum trennt. Sie lehnt sich mit Brust und Beinen an die Innenseite des Tanks und durch einen Lichteffekt werden diese einzelnen Körperteile auf der Glaswand sichtbar. Dadurch erscheint ihr Körper wie fragmentiert und weist auf dessen Konstruktion als Hybrid aus Mensch und Maschine hin. Das Spiel mit dem Licht lässt eine hologrammartige Doppelgängerin erscheinen, geradeso als wäre der maschinelle Körper der Zukunft problemlos zu nicht-biologischer Reproduktion imstande. Wie die Cyborgfigur nach Haraway ist sie über die Stufe der biologischen Geburt und Einheit hinaus.
Dazu singt Uhlich wie eine futuristische Cyborg-Diva mit verzerrter Stimme, inspiriert von alten Science-Fiction-Filmen. Sie beklagt die sterile, schweißlose Existenz im Tank („brave new bodies“), und thematisiert die volle Überwachung durch das Publikum („you see me in transparency“). Irgendwann verlässt Uhlich ihren Tank. Sie tritt einfach hinaus und führt ihre Gedanken zur futuristischen Welt von morgen fort, singt weiter über Labormäuse und smart cars. Hier verliert die Performance, aufgrund der Vielzahl an Themen, leider ein wenig an Kraft. Der Tritt nach außen bringt zudem keine Veränderung, sie kann auch außerhalb ihres Tanks existieren. Wozu war dieser also nötig? Zum Ende der Performance begibt sich Uhlich ohne Zögern wieder ins Innere des Tanks und singt im Kunstnebel weiter. Ihr Gegenüber tritt eine ältere Frau aus dem Publikum und zündet sich eine Zigarette an. Ein Generationskonflikt? Neuer versus alter Körper? Es ist unklar, wie sich dieser Moment in den Kontext der Performance einordnen lässt.
Auch wenn dieser Teil der Performance eher irritierend ist, zeigt Uhlich eine faszinierende Möglichkeit der Körperinszenierung. Sie greift die Widersprüche der von Haraway benannten Cyborgs auf, indem sie nuanciert mit der eigenen Körperlichkeit spielt. Es wirkt bedrückend und befreiend zugleich, wie sie einen ganz eigenen Ausdruck innerhalb des limitierenden Glascontainers findet.

Kreatur hinter Glas von Kai Kopel

Wer mit dem Science-Fiction-Genre vertraut ist, dem dürften große runde gläserne Tanks nicht ganz unbekannt vorkommen. Jene hohen Behälter, die in Sci-Fi-Filmen meist dazu dienen, Aliens oder fremdartige Lebensformen aufzubewahren, sie gefangen zu halten oder zu untersuchen. Am 14. und 15. März stieg im Tanzhaus NRW ein Mensch in eben so ein überlebensgroßes Gefäß: Die österreichische Choreografin und Performerin Doris Uhlich zeigte im Rahmen des Festivals „Hi, Robot!“ ihre Soloperformance „TANK“.

Mitten auf der Bühne steht ein solches Gefäß, geschätzt etwa drei Meter hoch und vielleicht eineinhalb Meter breit und bis oben hin mit nebeligem, undurchsichtigem Wasserdampf gefüllt. Alle Scheinwerfer sind auf der sonst dunklen Bühne darauf gerichtet. Eine schaurige Stille herrscht auf der Tribüne und man ahnt bereits, dass sich hinter dem Nebel etwas Lebendiges im Tank befinden muss. Da greift auch schon eine Hand aus dem Nebel heraus ans Glas, drückt dagegen und rutscht an der Oberfläche ab. Dann presst sich ein Kopf gegen die Scheibe, doch anstelle eines Gesichts sieht man nur ein großes, dunkles Bündel langer feuchter Haare, die vor dem Gesicht herabbaumeln. Es sind beklemmende, angsteinflößende Bilder. Die Optik erinnert an einen gut gemachten Horrorfilm. Das Publikum blickt bange auf diese Hand und diesen Kopf, die aus dem weißen Wasserdampf herausschauen. Solche unheimlichen ersten Minuten erlebt man im Tanzhaus NRW nicht alle Tage.
Als sich der Nebel langsam lichtet, kommt eine Frau zum Vorschein. Sie ist nackt, noch bedecken Haare ihr Gesicht, doch nachdem sie sich aufgerichtet hat, begreift sie schnell, dass sie in diesem Tank gefangen ist. Mit allen (tänzerischen) Mitteln versucht sie, sich daraus zu befreien. Sie wirft ihren Körper gegen das Glas, doch der Tank gibt nicht nach. Sie rollt sich an den Wänden entlang, immer im Kreis, aber auch so gibt es kein Entkommen. Schließlich gibt sie auf. Zum Warten verdammt sitzt sie erschöpft, resigniert und auch ein wenig ängstlich da, den Blicken des Publikums ausgesetzt und ohne zu wissen, was als nächstes geschehen wird. Diese Szenen und Bilder von Uhlich wirken unheimlich echt und glaubhaft. Sie gehen unter die Haut. Als Zuschauer*in begreift man sofort, wie es sich anfühlen muss, in einem solchen Tank gefangen zu sein. (Umso schlimmer noch, wenn man auch nicht weiß, warum man gefangen gehalten wird.)
Später greift sich Doris Uhlrich mit einer Hand in ihr eigenes Bauchfleisch und beginnt daran zu ziehen. Sie bewegt ihrem Arm so steif und mechanisch, als wäre es der Greifer eines Roboters, der das menschliche Fleisch untersuchen möchte. Auch hört man sie sprechen: „Brave new Body“ oder „I want my Body back!“.

Die Performance gewinnt plötzlich an erzählerischen Elementen. Man fragt sich: Wie ist sie in diesen Tank gelangt oder wer hat sie da reingesteckt? Was versuchen diejenigen mit ihr und ihrem Körper anzustellen? Wird sie einer Verwandlung unterzogen? Es scheint, als hätten Mensch und Alien aus den Science-Fiction-Filmen die Plätze getauscht und der Mensch wird hier nun selbst zur Kreatur – isoliert hinter Glas und ominösen Experimenten ausgeliefert.
Doris Uhlich gelingt es überaus glaubhaft ihrem Publikum diese Fragen zu vermitteln. Zum Ende hin schafft sie es dann tatsächlich dem Tank zu entsteigen, doch auch im Freien findet man sie bald wieder in sich zusammengekauert am Boden sitzen. Ihr Körper hat sich offensichtlich während des Aufenthalts im Tank verändert.
Ab dieser Stelle wird klar, dass es Uhlich bei „TANK“ offensichtlich auch um Körperverwandlung und Selbstoptimierung geht – Themen, die sich durchaus mit der Tank-Thematik verbinden ließen, die sie allerdings optisch und auch tänzerisch nicht so gut vermitteln kann wie das Gefühl des Gefangen-Seins zuvor. Stattdessen versucht sie die bis dato recht ernste und düstere Tanzperformance mit einigen komischen Momenten aufzulockern – etwa als Doris Uhlich im Sprechgesang davon erzählt, dass sie nicht möchte, dass ihr Schweiß nach grünem Tee riecht oder als plötzlich eine betont lässige Dame die Bühne betritt und sich eine Zigarette anzündet. Für sich genommen originelle Einfälle, die allerdings nicht so leicht mit den zuvor gesehenen beklemmenden Szenen im Tank zusammenfinden wollen.

Nichts desto trotz und gerade wegen der starken, unheimlichen und nahegehenden Bilder, überzeugt „TANK“. Nicht zuletzt auch dank der Ausdauer und schauspielerischen Begabung der Choreografin und Soloperformerin selbst. Vielleicht wird ja der*die ein*e oder andere Zuschauer*in nach dieser Performance den nächsten Science-Fiction-Streifen, in dem eine außerirdische Lebensform im Tank gefangen gehalten wird, mit etwas anderen Augen sehen.

Science Fiction in der realen Welt von Gamze Can

Doris Uhlich, eine der renommiertesten österreichischen Choreografinnen, präsentierte die Uraufführung ihres neuen Stücks „TANK“ im Rahmen des Festivalschwerpunkts „Hi, Robot!“ im Tanzhaus NRW. Die Performance beschäftigt sich kritisch mit neuen Technologien und entstand in Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Boris Kopeinig. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum sich der Mensch überhaupt neu erschaffen möchte und ob der „optimierte Mensch“ wirklich die bessere Version eines Menschen ist. Dieses Thema wurde im Film schon oftmals behandelt, im Tanz ist es noch relativ neu.

Die Versuchsreihe

Die Performance stellt die Verwandlung eines Menschen in ein roboterähnliches Wesen ins Zentrum. Der erste Teil – man könnte ihn „Die Versuche“ nennen – beginnt mit unruhiger Musik von Time Machines „Psilocybin“, so steigert sich allmählich die Spannung. Die Bühne ist komplett dunkel, bloß der Tank ist beleuchtet und steht in der Mitte der Bühne. Im Tank ist nur Rauch zu erkennen, sonst nichts. Dann sieht man einzelne Körperteile wie Hände, Füße und Haare an der Scheibe – ein gruseliger Eindruck! Doris Uhlich gleicht dem Mädchen im Horrorfilm „The Ring“. Das verwundert nicht, denn Doris Uhlich verriet bei einer Pressekonferenz, dass sie sich u.a. von Science-Fiction-Filmen wie „Test Tube Girls“ und „Alien: Resurrection“ inspirieren ließ.
Langsam verschwindet der Rauch und man sieht sie komplett nackt. Dass sie nackt performt war klar, jedoch ist es ungewöhnlich und teilweise irritierend zu sehen, wie sehr sie sich ausstellt und ihre Körperlichkeit preisgibt. Was verwundert und gleichzeitig fasziniert: Sie hat keinen durchtrainierten Tänzer*innen-Körper, sondern stellt ihre runden Formen inklusive Bauchfett und Dellen in den Mittelpunkt. Oft referiert sie an die Fleischlichkeit und klatscht auf ihre Beine oder bewegt ihren Bauchspeck. Gleichzeitig scheint sie ihren Körper wie ein Kostüm wahrzunehmen bzw. einzusetzen und nach einiger Zeit gehört die Nacktheit einfach dazu.
Nach und nach werden ihre Bewegungen intensiver, aber auch gleichzeitig abgehackter. Mal dreht sie sich im Tank herum als würde sie geschleudert werden. Dieses Schleudern erinnert an Experimente wie sie in Filmen durchgeführt werden. Auch lehnt sie sich mit ihrem Vorderkörper an die Scheibe, sodass man sie komplett betrachten kann. Dabei atmet sie schwer.

Erste Transformation

Der „zweiter Teil“ – man könnte ihn „Die Durchführung“ nennen – wird durch sich verändernde Musik eingeleitet. Nun sing Doris Uhlich und verkündet (auf Englisch), dass sie es vermisst zu schwitzen und zu stinken, müde zu werden und zu entspannen – sprich menschlich zu sein. Oft widerholt sie die Wörter „Stink“ und „Shit“.
Hieran schließt sich ein Part an, der Neonlicht zum Einsatz bringt. Wieder klatscht sie ihren Körper an die Scheibe, nur dieses Mal ist er nicht mehr deutlich zu erkennen. Ihr Körper sieht nicht mehr menschlich aus, sondern wie etwas aus einem Science-Fiction-Film. Einige Körperteile von ihr leuchten in Neon als wären sie außerirdisch.

Verwandlung vollendet

Ihre Stimme wird nun mit Auto-Tune so verstellt, dass man sofort an einen Roboter denkt. Auch scheint sich Doris Uhlich vollkommen in einen Roboter zu verwandeln. Durch diese Effekte entsteht eine gelungene Science-Fiction-Atmosphäre. Man fühlt sich wie in eine andere Welt oder in die Zukunft versetzt.
Interessant ist auch die Szene, in der eine ältere Frau die Bühne betritt, um eine Zigarettenpause zu machen. In diesem Moment gucken sich Mensch und Roboter im Tank an. Hier wird die Sterblichkeit und Vergänglichkeit im Kontrast zum Unsterblichen und der scheinbar überlegeneren Version des Menschen deutlich. Das Alte steht dem Neuen gegenüber. Am Ende wirkt Doris Uhlich als Roboter-Alien-Wesen sehr emotionslos und irgendwie „zurückentwickelt“. Es scheint, als ob das Stück an dieser Stelle den Technik-Hype und die Selbstoptimierung des Körpers endgültig in Frage stellt.
Insgesamt wirkt die Performance mehr wie ein Theaterstück als eine Tanzaufführung. Durch die Effekte und die besondere Atmosphäre entsteht gekonnt ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Man bangt mit und erlebt jeden Moment intensiv mit. Sicherlich ist die ausgestellte Nacktheit für manch einen befremdlich – so wird die Performance auf Lob und Kritik zugleich stoßen.

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Über „PELLE“ von Alfredo Zinola

Wann: 21.02. – 24.02.
Wo: tanzhaus nrw
Reihe Kleine Monster


Hautkontakt von Estella Eckert

Ein Stück zum Mittanzen. Eine Kontaktimprovisation mit unbekannten, noch fremden Menschen. Für viele Zuschauer*innen wären diese Aussicht wohl Grund genug, eine Vorstellung zu meiden. Mitmachen und Fremde berühren? Lieber nicht! Dem italienischen Choreografen Alfred Zinola gelingt mit seinem neuen Stück, Ende Februar zu Gast im Tanzhaus NRW, jedoch eine Meisterleistung. „PELLE“ (ital. „Haut“) ist ein Werk für ein junges Publikum und dessen Begleiter*innen, das durch den klugen Einsatz von Partizipation Machtdynamiken auslotet, Berührungsängste abbaut und Kreativität und Gemeinschaft fördert. Weiterlesen

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Gast-Blogbeitrag: Interview mit Doris Uhlich und Boris Kopeinig (Magazin Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival)

Doris Uhlich TANK Foto: Axel Lambrette

Ich baue mich weiter

Die Künstler*innen Doris Uhlich (DU) und Boris Kopeinig (BK) haben sich im Rahmen ihrer jüngsten Zusammenarbeit mit einem Tank als menschengroßes Reagenzglas beschäftigt, denn heute steckt doch jeder in einem Tank, einer Blase, einer Bubble, finden sie. Im Gespräch mit Bettina Masuch (BM) öffnet sich eine Vielzahl von Türen, die bei der Entwicklung von „TANK“ eine Rolle spielen. Es geht ihnen um die vielen Körper, die in einem Körper stecken. Weiterlesen

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Guest blog post: Interview with robotics expert Prof. Hiroshi Ishiguro (Magazine Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival)

Prof. Hiroshi Ishiguro (li) mit seinem Roboter-Zwilling Geminoid HI-1. Foto: Hiroshi Ishiguro

The man who made a copy of himself. Hiroshi Ishiguro builds androids in order to better understand humans

Alter 3, the android, is at the centre of the festival’s opening event “Scary Beauty”, an update expressly flown in to Düsseldorf. Alter 3 was created by Japan’s celebrity robotics expert, professor Hiroshi Ishiguro, the director of the Intelligent Robotics Laboratory at the Department of Adaptive Machine Systems of Osaka University. We get an inkling why he builds androids by means of his dialogue with Choy Ka Fai, media artist and Factory Artist at tanzhaus nrw. Weiterlesen

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