Gast-Blogbeitrag: Interview mit Doris Uhlich und Boris Kopeinig (Magazin Hi, Robot! Das Mensch Maschine Festival)

Doris Uhlich TANK Foto: Axel Lambrette

Ich baue mich weiter

Die Künstler*innen Doris Uhlich (DU) und Boris Kopeinig (BK) haben sich im Rahmen ihrer jüngsten Zusammenarbeit mit einem Tank als menschengroßes Reagenzglas beschäftigt, denn heute steckt doch jeder in einem Tank, einer Blase, einer Bubble, finden sie. Im Gespräch mit Bettina Masuch (BM) öffnet sich eine Vielzahl von Türen, die bei der Entwicklung von „TANK“ eine Rolle spielen. Es geht ihnen um die vielen Körper, die in einem Körper stecken.

BM Dein Stück „Every Body Electric“ kam 2018 zur Uraufführung – eine Arbeit über Maschinen als Verlängerungen des menschlichen Körpers. Nun wirfst du in eurer neuen Arbeit „TANK“ einen Blick in die Zukunft. Von welcher Mensch-Maschine-Verbindung träumt die Choreografin Doris Uhlich?
DU Ich träume von höchst realen Maschinen, solchen, die meinen Körper verstärken können wie ein Exoskelett, das mich zum Springen bringt, ohne dass ich vorher trainieren müsste. Ich wünsche mir einerseits, nackt in einer Wüste zu performen – ohne einen Sonnenbrand zu bekommen, weil meine Haut sonnenresistent ist. Interessant wären auch Tabletten, die einen bestimmten Muskelverschleiß oder den Alterungsprozess einfach entschleunigen. Andererseits liegt ja eine Qualität im Müde- und Älterwerden. Technologie steht für die Vision von Unsterblichkeit sowie unendlicher Energie und Ausdauer. Ich schaue mir etwa meine Falten an. Ein Teil von mir sagt: Doris, du wirst alt, nutze fleißig deine Anti-Aging-Produkte weiter. Der andere Teil sagt: Doris, du bekommst Zeichnungen im Gesicht mit unvorhersehbarer Linienführung. Das ist doch spannend: körpereigene Tattoos. Also her mit den Linien! Ich mag auch Muskelkater, das Gefühl, dass meine Muskeln gearbeitet haben und Entspannung brauchen. Ich mag den Wechsel im Körper von Entspannung und Wieder in die Gänge kommen. Dass ist wie ein Jahreszeitenwechsel in der Muskulatur.
BM In der Frage des „Human Enhancement“ teilen sich die Lager in Utopist*innen und Dystopist*innen. Wo siehst Du Möglichkeiten und Gefahren der technologischen Entwicklung?
DU Wahrscheinlich wird es noch lange dauern, bis ein Roboter oder eine Maschine so komplex arbeiten kann wie ein Mensch mit Skelett, Muskelsystem und natürlich mit diesen ganzen Nervenbahnen, die den Körper durchziehen und es ermöglichen, beispielsweise Berührungen wahrzunehmen. Ich kann mir schon vorstellen, dass etwa eine Handprothese zukünftig maximal feinmotorisch werden kann. Aber die Frage bleibt, inwieweit sie auch dabei helfen kann, sinnlich wahrzunehmen. Derzeit beschäftigt mich die Tatsache, dass eine Maschine nicht müde wird. Ich glaube, das hat auch einen Einfluss auf das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. In der Dauer von Arbeit wird das extrem deutlich. Auch das: Der tanzende Roboterarm wird nie stinken, nie schwitzen. Der bleibt eine beständige Stahlmuskulatur, die in ihrer Geschwindigkeit konstant ist, quasi ohne Nebenprodukte zu produzieren. Ich plädiere da eher für‘s Stinken! Ich möchte nicht irgendwann Nanotabletten nehmen, durch die mein Schweiß dann nach Klementinen oder grünem Tee riecht. Ich finde es gut, dass die Doris noch stinken kann. Auch wenn sie tanzt. Und müde wird. Und Schweiß produziert.
BK Mir scheint es naheliegend, dass sich der menschliche Körper durch Biotechnologie und auf einer pharmazeutischen Ebene verändern wird. Es wird um Wirkstoffe gehen, die den Körper zwar extrem verändern, aber nicht auf eine so drastische Weise wie wir es aus Filmen kennen. In der Steinzeit waren Faustkeile High Tech und stellten eine Erweiterung des menschlichen Körpers dar. Körper verändern sich ständig, sie sind eine Geschichte von Veränderungen. Die vielen Körper, die in einem Körper stecken, haben uns in den Proben zu „TANK“ besonders beschäftigt.
BM Viele der Vorstellungen, die wir von Technologie im Kopf haben, speisen sich aus Science-Fiction-Filmen, ein Genre, was euch für eure Arbeit inspiriert hat. Welche dieser Filme haben euch besonders interessiert?
BK Zu einem Zeitpunkt unserer Recherche ist das Bild des Tanks aus dem Film „Alien: Resurrection“ aufgetaucht. Das erschien uns attraktiv, weil es darin um Biotechnologie sowie in abstrakter Weise um Körper im Labor oder den Körper als Experimentierfeld geht. Unsere Bühnenbildnerinnen haben entdeckt, dass es in den 1950er-Jahren eine ganze Serie an Comic-Covern gab, auf denen Frauen in solchen Tanks zu sehen waren. Interessant daran ist, dass es bei diesen Ideen immer um die Beherrschung von etwas Wildem geht, d.h. der Tank ist ein Ort, an dem wilde, gefährliche Lebensformen isoliert, eingesperrt, erforscht werden. Diese Vorstellung war für uns wesentlich interessanter, als die Maschinen selber zu zeigen. An die Idee des Tanks schließt sich für uns auch die Frage an, ob dieser vielleicht auch als Metapher verstanden werden kann für die Blasen, in denen wir uns täglich bewegen. Ich denke da beispielsweise an Social Media. Der Tank ist durchsichtig, aber ein abgeschlossener Raum.
BM Der Tank bezieht sich u.a. auf Comics der 1950-Jahre, bei denen klar war: Wenn jemand in den Tank gesteckt wird, dann eine Frau. Gab es irgendwann den Gedanken, dass im Jahr 2019 auch mal ein Mann im Tank sein könnte?
DU Heute steckt jeder in einem Tank. Der Tank ist für mich stellvertretend für einen Raum mit einer Begrenzung, der mich beeinflusst – und den ich beeinflusse. Die Begrenzung ermöglicht und verunmöglicht Bewegung. Der Tank steht für Technologie, aber in Folge auch für eine Vielzahl von Ideologien. Verlässt man den Tank, betritt man den nächsten Tank. Die absolute Freiheit gibt es nicht. Was es gibt, sind Visionen, etwa autonom zu leben, egal in welcher Blase, Röhre, Bubble man gerade steckt. Der Tank ist zwar ein Raum, der mich umgibt, aber in der Arbeit zu „TANK“ wurde mir immer klarer, dass ich selber schon eine Art Tank bin. Ich reguliere mich bereits selbst. Deswegen wollte ich dann auch selber in diesem Tank sein und ein Solo erarbeiten. In den drei Teilen von „Tank“ arbeiten wir auch mit Körperobjekten von Devi Saha, mit denen ich meinen Körper erweitere. Wir produzieren surreale Bilder von Körperlichkeit, Ich erweitere etwa meine Fetttanztechnik und meine Fleischtanztechnik mit mehr Fleisch. Ich baue mich weiter, in dem ich synthetische Fleischprothesen anlege.

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