Wann: 26.04. + 27.04.
Wo: tanzhaus nrw
Reihe GROSS TANZEN
Fiktive Nähe von Charlotte Decaille
15 Tänzer*innen, 15 emotionale Zustände, 15-mal die Möglichkeit, Teil einer offengelegten, chaotischen Gefühlswelt zu werden. Eine Welt, die in Ekstase verfällt und in einer „CROWD“ aufgefangen, weggestoßen und gehalten wird. Die französisch-österreichische Choreografin Gisèle Vienne und der amerikanische Autor Dennis Cooper inszenieren mit „CROWD“ im Tanzhaus NRW eine Partyszene aus den frühen 90ern und spielen bewusst mit der Darstellung von verschiedenen Persönlichkeiten, die mithilfe ihrer Bewegungen bestimmte Charakterrollen einnehmen. Sie sind nicht nur Teil einer homogenen, feierwütigen Menge, die sich benommen über die Tanzfläche bewegt. Sie sind Individuen, die sich im Rausch der Musik und des Tanzes mit ihrer Umwelt, doch vor allem mit sich selbst und dem Jetzt auseinandersetzen.
In Slow-Motion und zu harmonisch, melodiösen Klängen füllt sich die Bühne mit Sportjacken, Karohemden und Tennissocken tragenden Figuren. Als wären sie soeben aus den Kellerräumen eines Technoclubs getaumelt, finden sich die 15 Performer*innen nun auf einem Sandacker wieder. Ein Outdoor-Rave. Die euphorische und ungezügelte Partystimmung ist beeindruckend präzise und authentisch inszeniert. Bierduschen, freundschaftliche Umarmungen, zärtliche Berührungen, das verliebte Paar, ein Pöbler, der einsame Tänzer.
Zu nun härteren, rhythmischen elektronischen Sounds bewegen sich die Performer*innen über den sandigen Boden, auf welchem hemmungslos eine persönliche Intimität ausgelebt und erschreckend greifbar wird. Die verlangsamten Bewegungen aus zuckenden, wellenschlagenden Körpern und ausschlagenden Gliedern greifen eine allgemein internalisierte Idee des Technos auf. Der Mangel an Geschwindigkeit verstärkt die expressive Körperlichkeit und das bewusste Fühlen des eigenen Körpers.
Es entsteht eine Synchronität innerhalb der Gruppe, eine Sehnsucht nach einer Form von Gemeinschaft, einem Kollektiv. Doch gleichzeitig tanzt jeder zu seinem eigenen Tempo, in seinem eigenen Raum, nach seinem eigenen Kopf. Ein innerer Konflikt zwischen dem Allein-Sein und dem unterschwelligen Wunsch nach Nähe und Zuneigung bewegt die Tänzer*innen stetig zu- und voneinander weg. Sich wiederholende Tableaux Vivants unterbrechen das wilde Durcheinander von autonomen Körpern. Die Gruppe erstarrt, das Scheinwerferlicht fällt auf einzelne Tänzer*innen und Paare, verfolgt ihre Geschichte, ihre narrativen Körper. Ein Liebesdrama, aggressive Zusammenkünfte, Ablehnung, Verzweiflung, unerlaubte Berührungen. Die Performer*innen erzählen wortlos aus ihrem tiefsten Inneren. In ihrer Ekstase sind Theatralik und unkontrollierte Emotionalität die natürlichste Form sich mitzuteilen.
Es sind vergängliche Momente, die nur in diesem Zeitspektrum und in diesem Raum bestehen und Augenblicke später auf Ernüchterung, wenn nicht sogar Vergessenheit, treffen. Erschöpft, körperlich sowie emotional, verlässt die Menge nach und nach die Partyszene. Die letzten Züge des Rauschs genießend, wandert ein Tänzer über die Bühne, zurückgelassen in dem Allein-Sein, kurz bevor die Realität eintrifft.
„CROWD“ gelingt es, sich von der gegenwärtigen Hipster-Epoche zu distanzieren und die in den 90ern aufkommende Bewegung des Technos authentisch nachzubilden. Die Performance erlaubt, Teil des Vergangenen zu werden, ein Rückblick in die Metropolen, in eine Zeit, die für Freiheit, Selbstverwirklichung und Gemeinschaft steht. Sie greift die Tiefgründigkeit einer Bewegung auf, die sich in der Musik gefunden hat und Intimität und Sehnsucht zum Gruppengefühl machte. Vienne, Cooper und die Performer*innen erzeugen ein auf das Publikum übergreifendes Gefühl der Nostalgie, den Wunsch Teil von Etwas zu sein und das Verlangen nach unbeschwerter Ekstase in ihrer Unendlichkeit von Möglichkeiten.