Über „BASMALA – Freund oder Feind“ von Renegade/Neco Çelik

Wann: 21. – 23. April 2016
Wo: tanzhaus nrw

#1 Wut, Zerissenheit und junge islamische Männer von Jan Wenglarz
#2 Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes von Bastian Schramm

Wut, Zerissenheit und junge islamische Männer von Jan Wenglarz

Das Tanz- und Theaterkollektiv Renegade hat in Kooperation mit Regisseur Neco Çelik ein Stück über den Islam und im Besonderen über muslimische Männer entwickelt. „BASMALA – Freund oder Feind“, das Resultat dieser Zusammenarbeit war nun im Tanzhaus NRW zu sehen. Am 23.04.2016 fand die letzte von drei Vorstellungen mit anschließendem Publikumsgespräch statt.

Die erste Szene des Stücks etabliert sogleich die Grundstimmung des Abends. Das Musikvideo zu „Lasst die Affen aus’m Zoo“ des Gangsterrappers Haftbefehl wird in Übergröße an die Rückwand der Bühne projiziert. Dreieinhalb Minuten Gewalt, Wut und Provokation in Text und Bild. Was hat Haftbefehl mit dem Islam zu tun?
Nun, genau genommen ist „BASMALA – Freund oder Feind“ kein Stück über den Islam. Die Intention ist nicht, religiöse Inhalte zu vermitteln oder aufzuklären. Stattdessen werden junge muslimische Männer gezeigt, die sich mit ihrer Religion und deren Darstellung auseinandersetzen. Viele Elemente aus dem Rap-Video tauchen so auch im Verlaufe des Stückes immer wieder auf: Gesten der Gewalt, der Machtdemonstration und vor allem der Wut. Die anfängliche Starre (man kann sagen Ohnmacht) löst sich langsam in ein Schwanken auf und es entwickelt sich eine tänzerische Reaktion. Wiederholt wird im Stück mit religiöser Symbolik gearbeitet. Sowohl Gebetsgesten, als auch Selbstgeißelung (die eigentlich kein Teil des Islams ist) finden sich zwischen dem überwiegend durch Hip-Hop geprägten Tanz. Das gesamte Stück vermittelt einen Eindruck von großer Zerrissenheit und unbeherrschter Wut. Jeder der fünf Tänzer bleibt für sich. Es entsteht keine Form der Kommunikation untereinander und gerade durch diesen rituellen Vorgang der Abkapslung wird das Publikum im Verlauf des Stückes immer mehr ausgeschlossen. Der Höhepunkt der Entfremdung ist die völlige Verschleierung. Vier der fünf Tänzer betreten gehüllt in schwarze Tücher die Bühne. Viel deutlicher und bildlicher kann man die Themen Ausgrenzung, Zugehörigkeit und Identität nicht darstellen.

„Das Stück hat keine Message“, konstatiert Regisseur Neco Çelik im anschließenden Publikumsgespräch. Es ginge ihm darum, abseits klischeehafter Bilder die Auseinandersetzung von jungen Männern mit der Religion zu zeigen und auf die undifferenzierte und verallgemeinernde Wahrnehmung des Islams aufmerksam zu machen. Diesen Zustand beschreibt das Stück zwar bestens, darüber hinaus fehlt es aber an Impulsen. Auch wenn ein kommunikatives Tanztheaterstück nicht das Ziel des Performance war, so bleiben einem die Darsteller letztlich genauso fremd, wie in der anfänglichen Schockstarre des Stückes. Ansätze von persönlichem, individuellem Ausdruck finden sich lediglich in den etwas freieren Tanzszenen, bei denen die tänzerischen Vorlieben der einzelnen Darsteller durchschimmern. Ansonsten sind die Gesten gleichgeschaltet, nicht narrativ und liefern dem Zuschauer keinen (emotionalen oder inhaltlichen) Anhaltspunkt. Durch den monotonen Verlauf des Stückes verlieren selbst stärkere Gesten mit der Zeit an Kraft und Eindruck.

Die vom Regisseur kritisierte Pauschalisierung und Namenlosigkeit in der Darstellung des Islams wird in dieser Performance nie überwunden und die bloße Projektion eines eh schon präsenten Musikvideos (ca. 4,5 Millionen Views auf YouTube) reicht als Medien- und Gesellschaftskritik heutzutage einfach nicht aus. Wäre nicht viel eher diese Aufführung die Gelegenheit gewesen, etwas zu sagen, zu erklären oder zumindest anders zu machen? Gerne hätte man einen persönlichen Bezug der Tänzer und des Regisseurs zum Thema gesehen. Die anschließende Diskussion, die dem Stück in Sachen Länge schon sehr nahe kommt, übertrifft dieses jedenfalls deutlich in Bezug auf Aktualität und Aussagekraft.

Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes von Bastian Schramm

Verunsicherung liegt in der Luft, der Applaus lässt auf sich warten – so geht das Stück mit dem Titel „Basmala – Freund oder Feind“ von Regisseur Neco Çelik im Tanzhaus NRW zu Ende. Das, was hier zu sehen war, geschah – so legt es der Titel nah – im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes. So lautet die Basmala, eine Segensformel, die bis auf eine Ausnahme am Anfang jeder Koransure steht.

Den Auftakt des Stückes bildet ein Video des Rappers Haftbefehl. Bilder von Gewalt, aber auch männlicher Selbstbehauptung sind zu sehen. Zeigen, wer der Boss ist, seinen Standpunkt festigen. Das versuchen auch die fünf Tänzer und geben damit einen Einblick in die Lebenswelt gerade eben erwachsener Männer. Sie sind stark und kraftvoll, schlagen zu, treten nach. Doch die Gesten, die ihre männliche Stärke festigen sollen, hinterlassen den Eindruck von Zerbrechlichkeit und Verzweiflung. Die jungen Männer geben alles und merken, dass es nicht reicht. Aus der Verzweiflung wird Orientierungslosigkeit. Die Männer scheinen, vor Angst zu beben. Sie finden kein richtiges Ventil, wissen nicht wohin, fangen an sich selbst zu geißeln. Dabei setzt das Stück immer wieder starke Bilder, die das Publikum in ihren Bann ziehen. Youtube-Videos von islamischen Predigern, HipHop und Kriegsemblematik erschaffen eine vermeintliche Ikonografie der Lebenswelt junger muslimischer Männer in Europa.

An dieser Stelle kann gefragt werden, ob hier nicht verallgemeinert oder schwarz-weiß gemalt wird. Besonders, wenn dann die, oft von politisch fragwürdigen Religionskritikern herbeizitierten „Burkafrauen“ ihren bedrohlichen Auftritt haben. Wie schwarze Türme kommen sie dem Publikum aus dichtem Nebel näher und durch das dabei entstehende bedrohliche Gefühl wird einmal mehr so etwas wie die kulturelle Andersartigkeit des Islams in den Mittelpunkt gerückt. Dass man als Zuschauer dabei zunächst zusammenzuckt, ist kein Wunder, ist dieses Thema doch eines, das seit über einem Jahr die Presse und die öffentliche Meinung in Atem hält. Ständig wird gefragt, ob der Islam zu Deutschland gehört und welchen Platz er in der kulturellen Ordnung von westeuropäischen Ländern hat. „Basmala“ schlägt in genau diese Kerbe und tut, was im Dienste einer erhofften Öffnung der „westlichen Kultur“ gegenüber dem Islam (verständlicherweise) oft unterlassen wird.

Dabei verlangt das Stück vom Zuschauer eine Differenzierung zwischen Islam und Islamismus, denn letzteres ist es, dem die jungen Männer in diesem Stück in ihrer Suche nach Stärke und Souveränität verfallen. Sie fallen damit einer rigiden männlich-dominierten Disziplinargesellschaft anheim, die mit dem eigentlichen Islam, der auch als Weg zum Frieden bezeichnet wird, nichts gemeinsam hat. Es ist diese Gefahr einer Verwechslung des Islams, die das Stück gekonnt in der Hinterhand bereithält. Dabei geht es nicht nur um eine Verwechslung des Islams mit Islamismus durch Menschen die sich als außerhalb des Islams stehend begreifen, sondern auch um die Gefahr dieser Verwechslung durch Moslems selber.
Gerade die Anknüpfung an aktuelle Diskurse, die durch allerhand politische Instrumentalisierung belastet sind, macht den Reiz dieses Stückes aus, das zugleich brisant aber auch intelligent auf Konfrontationskurs mit der Lebenswelt der Personengruppe geht, die zur Zeit im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit steht, wie keine andere.

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Über Now & Next

Wann: 26. + 27.02. jeweils 20:00
Wo: tanzhaus nrw

Valérie Kommer und Karoline Strys in „A Solo for two“ im Rahmen des Nachwuchsformats von von Now & Next Foto: Meyer Originals

Valérie Kommer und Karoline Strys in „A Solo for two“ im Rahmen des Nachwuchsformats von von Now & Next Foto: Meyer Originals

Proteinpulver, Fieberträume und blumige Gedichte von Bastian Schramm

Das Format Now & Next bietet eine Plattform für das, was man als „Zeitgenössischsten Tanz“ bezeichnen kann. Es werden aktuelle Aufführungen, Projekte und Arbeiten die sich noch in der Arbeitsphase befinden, gezeigt. Das Format lebt besonders von seiner Offenheit für neue Strömungen und der Tatsache, dass durch die Kombination von mehreren Arbeiten an einem Abend eine Art Diskursfeld eröffnet wird, was es ermöglicht, die Arbeiten in einem größeren Kontext zu betrachten und sich einen Überblick zu verschaffen.

Die Abende vom 26. und 27. Februar eröffnete eine Arbeit von Montserrat Gardó Castillo und Petr Hastik, die beide Absolventen der Folkwang Universität und Ensemblemitglieder beim Kollektiv NEUER TANZ sind. Als Zuschauer fühlt man sich zunächst am falschen Ort, wenn man sich vorbei an Montserrat über die Bühne möglichst schnell auf die Zuschauertribüne schmuggeln will. Als Willkommenspräsent werden einem diverse Proteinpulver angeboten, im Hintergrund läuft ein Fernsehprogramm, das motivierte Heimsportler zu Spitzenleistungen antreiben soll. Als die Scheinwerfer ausgehen, fühlt man sich zumindest wieder ein bisschen angenehmer, die voyeuristische Distanz ist wieder hergestellt. Was zu sehen ist, macht durchaus Spaß. Gezeigt werden in einem ersten Akt zunächst klassische Posen der Körperinszenierung, dazu läuft klassische Musik. Die effektvolle Ausleuchtung der Bühne, die die Körper der beiden Tanzenden als riesenhafte Schatten an der Rückwand der Bühne erscheinen lassen, tun ihr übriges. Weiter geht es mit einer eingespielten Videosequenz, die zum Kern dieser Performance führt. Es sind Videobilder aus einer Gesellschaft des Körperkultes, der Selbstinszenierung, des Abhärtens. „No-Pain-No-Gain“ könnte genauso gut im Mittelpunkt der Performance stehen, ähnliche Worte werden in einer kurzen Sprechsequenz auf das Publikum abgefeuert. Die Lächerlichkeit dieser neuen Werte wird immer offenbarer. Den Mut zur Lächerlichkeit beweisen auch die Tanzenden, wenn mit einer übersexualisierten Version von Alphavilles „Forever Young“ das Stück beschlossen wird.
Dass das Stück sich mit einem Thema beschäftigt, dass man inzwischen schon in vielen Interpretationen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes gesehen hat, tut der Kurzweiligkeit und dem Spaß keinen Abbruch. Vielmehr beweist das Lachen im Publikum, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, zu dem sich jeder in einer Beziehung befindet und dass die unterhaltsame Umsetzung dessen funktioniert hat.

Das zweite Stück an diesem Abend setzt sich mit einem ähnlich alltäglichen Thema auseinander. Allerdings wirkt die Umsetzung des Themas „Zahntherapie“ durch Ivan Geddert, Soya Arakawa und Igor Dekhtiarenko eher wie ein expressionistischer Fiebertraum, der durch starke zahnärztliche Betäubungsmittel induziert wurde. Das Bühnenbild ist an sich eigenartig genug, es besteht aus einigen karg und bedrohlich wirkenden Holzkonstruktionen. Dazu kommen die unvermittelten Einsätze des nichts weiter als „ALARM!“ singenden Bassbariton Thomas Huy. Bei ohrenbetäubendem Schlagzeuglärm wird mit eigenartigen, langen Instrumenten herumgestochert, es wird geschrien und zusammenhanglos gemurmelt. Die Performance ist dabei so eindrücklich, dass der am Anfang gezeigte Satz „Beruhige dich“, genau ins Gegenteil verkehrt wird und das Publikum sich erst aus seinen Schreckensverkrampfungen löst, wenn sich die drei Performer zum Abschluss verbeugen.

Die letzte Performance des Abends wirkt dagegen zu Anfang wie ein blumiges Gedicht. Valérie Kommer und Karoline Strys tanzen in bestickten Kleidern zu barocker Musik – so weit so langweilig, könnte man denken. Doch irgendetwas stimmt daran nicht. Der Zuschauer wird das Gefühl nicht los, dass irgendwas nicht ganz ernst gemeint sein kann. Und ehe man sich versieht, wird die allzu süßliche Welt durch einen Wechsel in der Musik gestört, die tänzerischen Bewegungen werden heftiger, die Gesten eindeutiger. Hier geht es plötzlich auch um Aggressionen, Kampf, Selbstmord. Der Tanz ist ästhetisch absolut unterhaltsam und erinnert an klassisches Tanztheater. Damit ist das Stück das „tänzerischste“ des Abends und schafft damit eine schöne Klammer. Und die Tänzerinnen verlieren dabei nie das, was auch alle anderen Performances dieses Abends begleitet hat: Eine gute Portion Humor.

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Über Alexandra Waierstall & HAUSCHKA „A CITY SEEKING ITS BODIES“ Uraufführung

Wann: 17. – 19.09.2015 20:00 / Wiederaufnahme am 18. + 19.02.2016 20:00
Wo: tanzhaus nrw

#1 Ferne, so nah sie sein mag von Milena Weber
#2 Körper in der Stadt von Bastian Schramm

Ferne, so nah sie sein mag von Milena Weber

Landschaften, so weit das Auge reicht. Alexandra Waierstalls Inszenierung A CITY SEEKING ITS BODIES setzt den Zuschauer im Niemandsland aus. Nach der gefeierten Uraufführung kehrt die Factory-Artistin erneut ins tanzhaus nrw ein und mit ihr landschaftliche Weite ins Zentrum der städtischen Enge.

Am Anfang war die Bühnenleere. Digital eingefangene Naturszenerien ziehen vor dem Auge des Zuschauers vorüber. Am Bühnenrand rauscht ein Mikrofon zwischen Ventilatoren wie Wind in den Ohren. Nach und nach tauchen sechs schwarze Silhouetten im Gegenlicht der Projektion auf. Wo sie herkamen, nicht mehr auszumachen, zu unbemerkt, zu schnell vergessen. Horizontal vor der ersten Zuschauerreihe legen sie sich nieder, malen eine schwarze, zweidimensionale Landschaft, die sich kantig gegen die projizierten Tiefen abhebt. Langsam, zart, liebevoll driften die Tänzerkörper in die Ferne. Finden schließlich Aufrichtung vor der Projektionswand, Halt in der Gruppe. Ein kurzes Innehalten, dann kippen sie, stürzen diagonal durch den Raum, fangen sich, fallen erneut.

Alexandra Waierstall baut mit ihren sechs Tänzern Bilder der Vergänglichkeit, des Auf- und Abbruchs, des Zusammenziehens und des Gehenlassens. Hauschka, diesmal vom Band, liefert das musikalische Äquivalent einer melancholischen und doch störrischen Verschiebung von Natur und Zivilisation. „Abandoned city“, sein zuletzt veröffentlichtes Album, das hier eine Kontaktaufnahme mit den Tänzern wagt, spricht von einer Zivilisationsfreiheit, die weniger von einem Urzustand als von einem Verlassensein erzählt.

Einst war einmal… etwas anderes kommt.

Verlassene Städte, vergessene Orte, verfallene Architekturen. Die Tänzer weiten sich in die Leere des Raumes, die sie durch ihre runden, ausladenden Bewegungen beschwören und ausfüllen. Breiten sacht brachgelegtes Land vor uns aus. Was auch immer sie sind, sie erahnen einander. In schummerigem Licht nehmen sie Einfluss ohne sich zu berühren, verwachsen momenthaft zu Einem, erblühen und – zerfallen in Bestandteile, verfallen der Einsamkeit. Für den Zuschauer wirkt die Zeit heruntergefahren, die Bewegung verlangsamt, für die Natur, von der Kontinentalverschiebung hin zum Wind, ist eine gewaltige Zeitraffung. Eine Diskrepanz, die zu einem Zeitlosigkeitsgefühl verführt, in dem sich die Seele in der Ruhe weiten und im Puls einer anderen Zeit erschauern kann.

Die Inszenierung erinnert an die sehnsuchtsgetränkten Seufzer der literarischen Romantik. Erfüllt von Fernweh, Einsamkeit, Weite, Veränderung und dem Ruf nach dem ewigen „dort“, das nicht erreicht werden kann. Alexandra Waierstall weiß dieses stille Sehnen im Zuschauer zu erwecken und wachsen zu lassen. Sie erschafft erdachtes Land und der Zuschauer erstreckt sich mit. Badet in diesen Bildern. Und doch droht er hier und da in diesem uferlosen Gefühl zu ertrinken, kaum wird ihm ästhetisch oder inszenatorisch etwas entgegengestellt. Das, was sich weitet, drängt auch. Bauten stürzen ein, krachen und donnern in Tiefen. Das Zerfressen und Verwesen, das Verschlingen, das Zermahlen, das Schieben und Pressen. All das bleibt ungehört. Das Gedeihen verdrängt das Wuchern. Das Aufkeimen und Vergehen ist nie ein Ausbreiten oder Verrecken. Dabei scheint doch die Vielfältigkeit derselben Kraft elementar zu sein. Vielleicht ist es eine perspektivische Entscheidung, doch nachdem der Applaus verhallt ist, bleibt das Echo stummer Verwunderung darüber, dass eine Inszenierung, die sich so viel Zeit für das Suchen nach Gleichgewicht und Wandel nimmt, in nur eine Richtung kippt.

Alexandra Waierstall & HAUSCHKA „A CITY SEEKING ITS BODIES“ Foto: Christian Herrmann

Alexandra Waierstall & HAUSCHKA „A CITY SEEKING ITS BODIES“ Foto: Christian Herrmann

Körper in der Stadt von Bastian

„A CITY SEEKING ITS BODIES“ – Eine Stadt sucht ihre Körper. Dies ist der Titel des neuen, gespannt erwarteten Stückes von Alexandra Waierstall, ihres Zeichens Factory Artist am Tanzhaus NRW. Gespannt erwartet wurde das Stück, weil es sich um eine Kooperation handelt, und zwar mit dem ebenfalls in Düsseldorf beheimateten Komponisten und Pianisten Volker Bertelmann, besser bekannt als Hauschka. Sowohl Waierstall als auch Hauschka sind bekannt für ihre ganz persönliche Ästhetik und einen konzeptuell ausgearbeiteten Umgang mit ihren jeweiligen Arbeitswerkzeugen bzw. -materialien. Bei Alexandra Waierstall sind es Choreographiearbeit und Bühnenbild, bei Hauschka der Umgang mit dem präparierten Klavier.

Das Stück beginnt etwas verhalten, die Tänzer winden sich auf dem Boden, dazu wird die Musik live von Hauschka gespielt, der zusammen mit einem Streichquartett, Cello, zwei Klarinetten und Schlagzeug arbeitet. Das Bühnenbild und die Ausstattung des Stückes spiegeln eine Art gebrochene Urbanität wieder. Es gelingt Waierstall auf abstrakte Weise, Assoziationen mit rauhem Waschbeton, spiegelnden Glas und Metalloberflächen moderner Großstädte zu erzeugen. Diese schafft sie durch den Einsatz von Licht und reflektierender Folie, die auf dem Boden der Bühne ausgebreitet ist und durch verschiedene andere Materialien durchbrochen wird. Es werden Lichtinseln an die Wand geworfen, verfremdete Schatten erfüllen den Bühnenraum. Waierstall scheint damit auf naive Visionen städtischer Urbanität der Moderne anzuspielen. Darin lässt das Stück auch an Filme aus der Frühzeit der Moderne denken, beispielsweise Fritz Langs Metropolis, der ein utopisches Porträt der modernen Großstadt zeichnet. Dies wird durch eine Videoprojektion ergänzt, die Bilder von verfallenen Städten in sachlicher Aufnahme zeigt. Die graue Einheitlichkeit der modernen Großstadt wird dabei auch in der Kleidung der Tänzer fortgesetzt. Diese nehmen in ihren teilweise abstrakt wirkenden Bewegungen und Gruppenchoreographien die Bewegungsräume von Städten und die Fragmentiertheit der persönlichen urbanen Wahrnehmung auf. Es handelt sich hier jedoch nicht um die Darstellung einer florierenden Großstadt, die Choreographie entspricht eher der stolzen Melancholie, die so manche Bauruine aus der Frühzeit der architektonischen Moderne umweht. Materialität im engeren Sinne ist für Waierstall enorm wichtig; die verschiedenen Materialien wie metallische Folie, weißer Tanzboden und Holz werden zu Eckpunkten der Choreographie und mit ihren spezifischen Eigenschaften einbezogen. Holz wärmt, Metall wird zum Reflektor. Dabei legt Alexandra Waierstall nach eigener Aussage Wert darauf, dass auch die Tänzer „nicht mehr ausschließlich das Menschliche repräsentieren und verkörpern, sondern Materialität an sich“ (Alexandra Waierstall in: biograph 9/2015).

Es soll hier eben nicht um das Leben in Großstadt gehen, also eine menschliche Perspektive auf Urbanität, sondern eher um eine Perspektive des Städtischen auf sich selbst. Dies geht so lange gut, wie die Choreographie im Abstrakten verbleibt. Gegen Ende des Stücks wird plötzlich der entblößte Körper einer Tänzerin zum Signifikanten eines Gegensatzes, der durch den Kontrast zur erdrückend grauen Kleidung der anderen Tänzer entsteht. Dadurch wird der konkrete Gegensatz von menschlicher Natürlichkeit und menschlicher Kultiviertheit genutzt, um einen Rückbezug auf die Materialität der Stadt herzustellen. Dieses In-Gegensatz-setzen von einer Natürlichkeit und einer (scheinbar verdorbenen) Kultur könnte auch als moralische Färbung verstanden werden. Denn genau wie in Fritz Langs Metropolis gibt es hier von Zeit zu Zeit Anspielungen auf das Vegetieren im städtischen Moloch, auf Menschen die ihre „vorkulturellen Wurzeln“ verloren haben. „Wann war das letzte Mal, dass du ein Feuer gemacht hast, wann hast du das letzte Mal ein Tier geschlachtet?“ lautet (sinngemäß) ein fragendes Sprachfragment. Dadurch wird stellenweise das Gefühl erzeugt, es würde hier ein Kulturpessimismus gepflegt, den das Stück eigentlich nicht nötig hat und den man Alexandra Waierstall auch nicht unterstellen mag. Dieser Eindruck wird zu großen Teilen auch daran liegen, dass das Stück leider sehr kurz ist. 50 Minuten sind einfach etwas wenig Zeit, um ein solches Thema differenziert in einer Choreographie zu erforschen.

Man würde gerne mehr sehen, vor allem weil das Stück auf der ästhetischen Ebene sehr interessant und spannend ist. Es veranlasst zum Staunen, ohne den Zuschauer durch Spektakularität auf Distanz zu bringen. Man kann ganz in die Welt der Choreographie eintauchen, auch wenn sie stellenweise in seinem selbst gestellten Darstellungsauftrag etwas undifferenziert wirkt. Doch darüber kann im Angesicht der großartigen intermedialen Arbeit hinwegsehen. Denn durch die live eingespielte Musik und die gleichzeitig gezeigten Videobilder verlassener Städte im Hintergrund ist das Stück als ästhetisches Konzept stimmig.

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Über Louise Lecavalier/Fou Glorieux „Battleground“

Wann: 13. Februar 20:00 (Uraufführung) + 14. Februar 18:00
Wo: tanzhaus nrw

http://www.youtube.com/watch?v=otq6JQC4wqo

Eine Reflexion von Milena Weber

Louise Lecavalier – Tänzerin der Extreme – Tänzerin des widersprüchlichen Ausdrucks. Louise Lecavalier legt Energie frei. Die Energie eines Körpers, der nicht weiblich, nicht menschlich, sondern physikalisch ist. Ihre „Ekstase ohne Erlösung“, wie Journalistin Nicole Strecker schreibt, das exzessive Krampfen, Zittern, Erbeben ist nichts als Ausdruck einer Naturgewalt, die Prinzipen von Ursache und Wirkung nicht kennt, sondern nur endloses Werden als Sein, ein kontinuierliches sich selbst Hervorbringen. Ständiger produktiver Zerfall. So ist es nicht mehr der Körper, der Energie hervorbringt, sondern erst die Energie, die den Körper hervorbringt, fassbar macht, im Raum durch Bewegung konstituiert. Jedes Erzittern als Bewegung ohne Endpunkt entzieht sich der Rationalität des Betrachters, der sich in Ort, Zeit und Bewegung nach Linearität, nach dem momenthaften Stillstand als begreifliche Paraphrase sehnt. Doch Louise Lecavalier lässt uns nicht. Ihre Energie setzt sich mit unserem ungläubigen Unverständnis einer explodierenden Supernova frei, die den dimensionalen Raum paradox in sich verschlingt und die Idee von körperhafter Energie als wahnwitzig vernichtet. Dennoch hat sie einen Körper. Er erzittert, deutet und durchläuft Richtungen. Direktiven, die immer auch schon die Gegenbewegung wahren, andeuten, durchleben – es sind mathematische Geraden. Es wird abstrus. Das Lichtdesign von Alain Lorte ist wortwörtlich eine andere Dimension. Weiße Linien in die Tiefe des Raumes, Technobeats zwischen Stagnation und Klimax und Louise Lecavalier, stetig den Raum durchquerend, erinnern an das Computer-Tennisspiel „Pong“ der 70er – der Urtypus lustvoller Richtung im abstrakten Raum. Eine andere Art Urknall. Digital-bizarr in seiner scheinbar zeitlosen, ortlosen, sinnlosen, repetitiven Eindeutigkeit. Und dann doch die unergründliche menschliche Faszination für deterministische Variation. Alain Lortes Licht addiert Dimension, es sind Matrizen, in denen Louise Lecavaliers Körperrichtungen wie Vektoren aufscheinen. Ihr physischer Leib avanciert zum geometrischen Körper. Koordinatensysteme, endlose Schachfelder versetzten das Bühnengeschehen in den abstrakten Raum des Denkens, in den mathematischen Raum, wo nichts real, aber alles wahr sein muss. Und genau dort findet die Novelle von Italo Calvino statt, „Il cavaliere inesistente“ – der Kämpfer, der nie existiert hat – in einem Raum, in dem Bewegung Existenz bedeutet. Sein Körper und sein Kampf sind irdisch, menschlich, schwitzend. Wie in einem Boxring werfen sich Louise Lecavalier und Robert Abubo ineinander, verkeilen sich in den Feind. Sind zwei Teile eines Ganzen, das nur aufeinander zu prallen vermag, ohne verschmelzend ineinander zu überzugehen, nicht fähig sich endlich zu lösen oder aufzulösen. Und doch greifen sie ineinander in ihrer selbstverlorenen Rastlosigkeit. Immer wieder gehen sie an den Bühnenrand, setzen sich, laden sich neu auf, betrachten das Schlachtfeld. Was bleibt, wenn das Wirken nie endet? Und so tritt der zerfallende, wütende, aufbegehrende, menschliche Leib in den Krieg mit dem Abstraktum. Ein Krieg, der auch in den Zuschauerkörper eingeschrieben ist. Ein Krieg, um den der Leib zu weinen vermag, jedoch der Verstand nie zu fassen.

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Über Billinger & Schulz „UNLIKELY CREATURES (1) who we are“ / Im Rahmen des Festivals YOU’RE A CYBORG BUT THAT’S OK

Wann: 27. (Premiere) + 29. + 30. Januar, jeweils 20:00
Wo: FFT Düsseldorf, Kammerspiele

.Fantasiewesen, die sich vom Menschlichen ablösen wollen von Barbara Franke

Da schwebt ein Tänzer mit Ballettschritten über die Bühne. Vor dem Publikum macht er zarte, ballerinenhafte Bewegungen, die durch seine strammen Oberschenkel aber wie ein Bruch wirken. Dann kommt eine Frau dazu; sie legen sich gemeinsam auf den kalkweißen Boden und strecken die Beine bis in die Zehenspitzen aus, um sie dann immer abwechselnd vor und hinter ihren Körper zu schieben. Fast so, als würden sie sich für die Ballettstunde warmmachen.

Doch, was dann auf der Bühne des FFTs geschieht, das im Rahmen des Festivals „YOU‘RE A CYBORG BUT THAT’S OK“ DJ Billinger & Schulz, zwei mehrfach preisgekrönte Choreografen und als „Hoffnungsträger“ der deutschen Tanzszene geltend, eingeladen hat, gleicht alles andere als klassischem Ballett. In „Unlikely Creatures“, das heute im FFT uraufgeführt wird, verändern sich die Tänzer zu bizarren Fantasiewesen, die sich von dem Menschlichen ablösen wollen. Vielleicht auch als eine Abnabelung vom klassischen Tanz, hin zur zeitgenössischen Avantgarde zu verstehen, die mit Elementen wie der – von der zivilisierten Gesellschaft verpöhnten – Nachtkeit spielt, um in kein Schema mehr hineinpassen zu müssen. Die Ausgangsfrage, die Billinger & Schulz sich nämlich stellen, war: „Was ist normal? Und warum geht der Mensch nie ganz in seinem Bild auf?“

In ein Schema passen die Performer Frank Koenen, Judith Willem, Jungyun Bae, Ludvig Daae und Nicolas Niot auch nicht. Mit „Unlikely Creatures“ tanzen sie ein Stück, das von Dualität geprägt ist. Es ist ein Auf- und Abdrehen von SloMo (Slowmotion), ein Gegensatz von im Raum herrschender Stille, die ganz plötzlich zu einem Wendepunkt kommt, weil irgendein dröhnender Rock-Pop-Electro-Song über einen hereinbricht, und es ist ein Bruch mit den klassischen Tanzbewegungen, die bei Billinger & Schulz mit zeitgenössischem „Disco-Dance“ gekoppelt sind. Dazu kommt der Rollentausch, der in „Unlikely Creatures“ forciert wird. Die Frauen heben teilweise die Männer hoch, und sie sind es, die am Anfang des Stücks auf die Bühne kommen, um die Zartheit einer Ballerina zu verkörpern. Die Ballerina, die nur in dem Bild mit einer fragil aussehenden Frau aufgeht, nicht aber mit dem robusten Körperbau eines Mannes.

Die Metamorphose zu den Kreaturen, ähnlich wie bei Kafkas „Die Verwandlung“, findet durch den andauernden Kleiderwechsel statt, den die Performer am Rand der Bühne durchlaufen. Anfangs noch sittenhaft, verlieren die Tänzer zunehmend an Kleidungsstücken, bis sie am Ende splitterfasernackt über die Bühne des FFTs rennen, angemalt mit knallbunter Neonpaste, die sie sich willkürlich über den ganzen Körper schmieren; sogar so weit, dass ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen sind. Dann klatschen ihre Körper aufeinander, die Farbe bleibt auf dem Boden der ausgeleuchteten Bühne kleben, das Licht flimmert und der inszenierte Fernseher auf der Bühne rauscht nur noch. Das ist die Ektase, der Höhepunkt des Stücks, das noch extremer, noch skurriler wirkt als die bisherigen Choreografien von Billinger & Schulz, in denen es ebenfalls darum ging, Tabus zu brechen.

Klar: Böse Zungen würden jetzt vielleicht sagen „Nackt auf der Bühne rumzurennen ist längst kein Tabubruch mehr und dazu auch noch ausgelutscht“. Billinger & Schulz verkörpern diesen Bruch mit der Normalität aber mit so vielen Bildern und Figuren, dass nichts davon klischeehaft wirkt. Im Gegenteil: Billinger & Schulz geben mit „Unlikely Creatures“ ein Statement ab: Wir alle denken in Schemen. Das ist nun mal so. Aber was ist schon normal?

Das Festival YOU’RE A CYBORG BUT THAT’S OK richtet sich an Nerds, Digital Natives, Alles- und Nichtswisser, Jugendliche, junge Erwachsene, Kinder und Familien. Im Zentrum einer Vielzahl von künstlerischen Positionen zwischen Performance, Installation und Lecture steht der Mensch und sein Verhältnis zu Technologie und die Frage: Sind wir längst Cyborgs und wenn ja, ist das ok? Das Festival fand im Rahmen des Projektes „Take-off: Junger Tanz“ vom 17.01. – 30.01. im tanzhaus nrw, FFT Düsseldorf und Jungen Schauspielhaus statt. Mehr Infos gibt es hier.

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Über Chris Haring /Liquid Loft „Shiny shiny…Imploding Portraits Inevitable“

Wann: 15. + 16. Januar, jeweils 20:00
Wo: tanzhaus nrw

Shiny, shiny: Chris Haring und Liquid Loft zu Besuch im tanzhaus nrw im Rahmen von TEMPS D'IMAGES (Foto: Michael Loizenbauer)

Shiny, shiny: Chris Haring und Liquid Loft zu Besuch im tanzhaus nrw im Rahmen von TEMPS D’IMAGES (Foto: Michael Loizenbauer)

Schattenspiele à la Warhol von Jan Wenglarz

„Shiny, shiny…“ ist der erste Teil der neuen Performanceserie „Imploding Portraits Inevitable“ des österreichischen Choreographen Chris Haring und seiner Kompanie Liquid Loft. Im Rahmen des Festivals TEMPS D’IMAGES wurde die Arbeit jetzt erstmals in Deutschland aufgeführt.

Andy Warhols Vorhersage vom 15-minütigen Ruhm für jedermann ist in Zeiten von YouTube und Reality-Shows heute längst Wirklichkeit! Und genau wie bei den beiden genannten Formaten, spielen auch in Chris Harings Stück Kameras eine zentrale Rolle. Der durch zwei große Projektionsflächen und etliche Scheinwerfer präzis abgezirkelte Bühnenraum trennt die fünf Tänzerinnen und Tänzer vom Zuschauer und schafft zusammen mit der diffusen Beleuchtung Distanz, macht das Geschehen zu einem Bild. Nur schemenhaft lässt sich zunächst erahnen, wer dort auf der Bühne steht, bis das Gesicht eines jungen Mannes plötzlich in Großaufnahme auf einer der Projektionsflächen erscheint.

Immer wieder positionieren sich die Darsteller im Laufe der Performance vor den zwei am Bühnenrand aufgebauten Kameras. Während sie sich schminken und ihre blonden 60-Jahre-Perücken zurechtrücken, dominieren die Close-Ups ihrer eigenen Gesichter auf Leinwänden im Hintergrund die Szenerie. Der Zuschauer schaut der überlebensgroßen Projektion direkt in die Augen und das Gesicht scheint wortwörtlich zum Greifen nah. Ein ebenso simpler, wie erstaunlicher Effekt. Beinah fällt es schwer zu glauben, dass das jeweilige Gesicht tatsächlich der entsprechenden Person gehört, welche leibhaftig wenige Meter vor einem steht und doch so viel weniger deutlich und ausdrucksklar wirkt. Die Projektionen sind Momentaufnahmen, kurzlebige Portraits. Üblicherweise wird durch Videokameras etwas festgehalten, etwas dokumentiert. Nicht so in dieser vom Geist der Factory-Superstars geprägten Scheinwelt: hier wird die Kamera eine lebensnotwendige Verlängerung des Selbst, ein unverzichtbarer Baustein der eigenen Identität. Nur was überdeutlich projiziert wird, hat auch Geltung.
Was bedeutet Realität? Abseits der Videoportraits bewegen sich die Darsteller apathisch, bisweilen in grotesk verrenkten Voguing-Posen durch den Raum, wechseln ihre Haarpracht und die Kleidung. Kontakt untereinander? Das gibt’s nur mit dem Gesicht in die Kamera, also gar nicht. Gekünstelt und stilisiert. Über die Lautsprecher schallt die Tonspur verschiedener Videoportraits, die Warhol von seiner Entourage anfertigte, zu der die Tänzer in nahezu vollkommener Synchronität ihre Lippen bewegen und sich auf diese Weise den vorgegeben Text zu eigen machen. Eine fast perfekte Illusion. Doch weder die Lippenbewegungen, noch die Worte wollen so ganz zu dem gezeigten Gesicht passen. Während die düstere Musik immer verzerrter wird, entfernen sich die Stimmen, werden dumpf und undeutlich, als lauschte man einem Gespräch durch eine verschlossene Türe hindurch. So zerbricht auch der fiktive Charakter, der für den kurzen Moment der Selbsterhöhung auf der Videowand Bestand hatte. Verzweifelt versuchen die aus dem Takt gekommenen Protagonisten ihr Selbstbild wieder einzuholen, während Velvet Undergrounds Sadomaso-Song „Venus in Furs“ als düsterer Soundtrack der Selbstfolter ertönt.

Der Selbstdarstellungswahn und die zwanghafte Identitätssuche finden keinen Abnehmer, kein Publikum. Alles führt ins Nichts, fällt zusammen, implodiert. Die Performance endet konsequent mit dem Abschalten der Videokamera und: mit Dunkelheit. Das Sinnbild von totaler Abhängigkeit, denn: ohne Projektionsfläche, ohne Close-Up können diese Figuren nicht existieren.
Doch wie ähnlich sind sie damit der heutigen Gesellschaft? Haben Selfies die Videoportraits längst abgelöst, weil wir selbst dafür keine Geduld mehr haben? Zweifellos sind Selbstdarstellung und Selbstoptimierung heutzutage sogar in alltäglichsten Handlungen vertreten. Leider schafft Harings Stück durch die karikierte Überhöhung nicht, der heutigen Gesellschaften einen Spiegel vorzuhalten, da er auf ein typisches Stilmittel Warhols verzichtet: Ironie. Der ständige Perückenwechsel, das nervöse Zucken und die hohlen Gesprächsfetzen sind zwar stimmig im Bezug aufeinander, wirken jedoch lächerlich, wenn man versucht, sie ernst zu nehmen. Harings Stück zitiert die Factory-Atmosphäre, bemüht sich aber nicht, davon etwas aktuellen Kontext einzuordnen. So bleibt der Zuschauer ratlos zurück, hätte er sich doch gewünscht, dass die Inszenierung über die bloße Konfrontation mit der Versinnbildlichung von Oberflächlichkeit hinausgeht.

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Über Isabelle Schad „An Un-Folding Process / Kids“

Wann: 13.12. 15:00 + 14.12. 10:00

Isabelle Schad in „An Un-Folding Process / Kids“ Foto Andreas Endermann

Isabelle Schad in „An Un-Folding Process / Kids“ Foto Andreas Endermann

Der Körper in seinen Einzelteilen von Barbara Franke

Sie macht etwas mit ihrem Körper und er sagt ihr, was er sieht. In Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Laurent Goldring entwickelte die Tänzerin Isabelle Schad ihre Arbeit „An Un-Folding Process“, in der sie mit elastischen Stoffen spielt. Das eigentlich für Erwachsene gedachte Tanzstück führte Isabelle Schad am Montag solo im Tanzhaus NRW ausschließlich für Kinder auf und ließ ihren Assoziationen dazu freien Lauf.

„Alles begann mit einer Diskussion über Sichtbarkeit“, erzählt sie. Gemeinsam mit ihrem Freund und dem bildenden Künstler Laurent Goldring philosophierte sie über die Frage, was ein Bild eigentlich ist. „Laurent schaut genau hin, macht sichtbar, was schon da ist, aber man sich vielleicht schon zu sehr daran gewöhnt hat, um es noch wahrzunehmen“. So bewegte sich die Tänzerin mit ihrem Körper, den sie Zelle für Zelle versteht, und Goldring gab ihr visuellen Input dazu. Gemeinsam entwickelten sie die Idee, mit elastischen Stoffen zu arbeiten, die in „An Un-Folding Process“ keine Kleidung mehr, sondern nur noch übergroße Tücher, darstellen. Sie umgeben Isabelle Schad während ihres Tanzes wie eine zweite, unsichtbare Haut.

Und dennoch ist da, zumindest visuell, ein Raum zwischen dem eigentlichen Stoff und dem umhüllten Körper. Genau das erzeugt auch den Spannungscharakter: die Spannung darauf zu sehen, was sich hinter den vielen Nähten bewegt. Für Schad ist es der Körper in seinen Einzelteilen. Ein Bein, ein Arm, ein Kopf, alles kann bewegt und unterschiedlich zum Ausdruck gebracht werden – in ihrem Fall sogar so, dass es unmenschlich aussieht.

Denn auch Franz Kafkas Kurzgeschichte „Der Bau“ ist elementarer Bestandteil ihrer Arbeit. An vielen Stellen erinnern ihre Bewegungen tatsächlich an die eines Tieres, in Kafkas Fall an die eines Dachses, der vergeblich versucht seinen riesigen Erdbau zu perfektionieren um sich vor Feinden zu schützen, dann aber dem Wahnsinn anheimfällt. So baut sich der Raum eng um Schads Körper herum, sie bewegt sich wie in einem Labyrinth, aus dem sie zunächst nicht rauszukommen scheint. Ihr Körper ist verborgen von den Tüchern, die sie umhüllen. Am Ende kann sie sich aber doch noch befreien; dann scheinen ihre Bewegungen wieder mehr in einem Fluss stattzufinden, sie sind nicht länger ruckartig und von kämpferischer Natur. Schad ist frei, sie bewegt sich in einem weichen und erweiterten Raum, der sie nicht weiter einengt.

In „An Un-Folding Process“ spielt aber nicht nur die Verengung oder Erweiterung des Raumes eine Rolle. Schad kommt auch zu der Entdeckung, dass alle Bewegungen und Bewegungsrichtungen bereits existieren. Bewusst wiederholt sie ihre Schritte, wieder und wieder, betont dabei aber auch, dass jene Bewegungen Raum mit ein- oder ausschließen und wir uns in den darin stattfindenden Prozessen selbst erschaffen haben.

Diese Metaebene haben die Kindergarten-Kinder in der Vorstellung womöglich nicht verstanden, zumindest aber die Verwandlung in ein Tier. Darauf lassen die Zurufe der Kinder, Isabelle Schad sei eine Schnecke oder ein Vogel, schließen. Und dass sie am Ende selbst herausfinden konnten, in was man sich so alles verwandeln kann, wenn man mit Isabelle Schads Tüchern spielen darf, war wohl die größte Freude der kleinen Besucher.

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Über Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca „SOLI“

Wann: 03.12. 20:00 + 04.12. 20:00
Wo: tanzhaus nrw

Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca zeigen die deutsche Premiere von SOLI am tanzhaus nrw Foto : Benoî”te Fanton

Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca zeigen die deutsche Premiere von SOLI am tanzhaus nrw /
Foto : Benoî”te Fanton

Trockengelegter Tanz von Bastian Schramm

Stille ist für den menschlichen Wahrnehmungsapparat eine Provokation. Die Wirkung dessen konnte am 03. Dezember bei der Deutschlandpremiere von „SOLI“, einer Kollaboration zwischen Laurent Chétouane, Ioannis Mandafounis, Mikael Marklund, Roberta Mosca und dem Lichtdesigner Jan Maertens beobachtet werden. Stille, die Leute aufspringen lässt, die empört und zu hämischem Lachen führt. Dies waren drei der Reaktionen, die sich im Publikum am Freitag beobachten ließen, obwohl es auf der Bühne nichts wirklich Provokatives zu sehen gab.
Auf der Ebene des Visuellen waren am Donnerstagabend Tanzende zu sehen, die auf der komplett entkernten großen Bühne des Tanzhaus NRW so etwas wie persönliche Räume auszuloten versuchten. Die Bewegungen sind dabei als fragil und tastend zu beschreiben, sie sind neugierig und unschuldig. „Wo fängst du an, wo höre ich auf?“ Dies könnten Fragen sein, die formuliert würden, wenn der Tanz verbalisiert werden sollte. Das ist interessant und ästhetisch ansprechend anzusehen, doch dies allein ist in keiner Weise provozierend. Was der Zuschauer so intensiv erlebt, ist die unbeschreibliche Stille, die für knapp eine Stunde im Raum herrscht. In der Abwesenheit einer normalerweise künstlich produzierten Klangarchitektur verselbstständigt sich die auditive Dimension. Trockengelegter Tanz, danse brut sozusagen.
Im zeitgenössischen Tanz wird auf viele Arten versucht, die leibliche Ko-Präsenz von Publikum und Tanzenden begreifbar zu machen. Doch egal wie effektvoll sonst versucht wird, dies zu inszenieren, „SOLI“ beweist, dass eine der besseren Möglichkeit im Entzug liegen. Tanz und Musik sind im allgemeinen Verständnis fest miteinander verbunden. Doch führt Musik auch dazu, dass sich das Publikum hinter dem Soundtrack in einer Art „splendid isolation“ wiederfindet, also einer angenehmen Isolation, die die klassische Getrenntheit von Zuschauer und Darsteller erst ermöglicht. Denn die Zuschauenden sitzen klassischerweise nicht nur im Dunkeln und schauen auf die erleuchtete Bühne, sondern sitzen, bildlich gesprochen, auch hinter einer einseitig durchlässigen Soundwand.
In der Stille von Donnerstagabend wurde jedes lautere Atmen, jedes Husten hörbar. Auch das Rascheln von Winterjacken, die es als Signifikant der ungemütlichen Dezembernacht mit in Zuschauerraum geschafft haben und mit ihrer Anwesenheit diesen heterotopen Raum stören und beschämt ausgezogen werden, drängen sich einem auf. Geräusche von Körpern, die bewegt werden, mischen sich mit dem metallischen Knistern der Scheinwerfer die ein- und ausgeschaltet werden und mit denen versucht wird einen griffigen Untergrund für die Choreographie zu liefern. Die Lichtinstallation ersetzt auf gewisse Weise den Teppich den normalerweise die Musik zum Tanzstück liefern würde. Sie scheitert darin zwar, dies aber in einem positiven Sinne, denn die Abwesenheit der auditiven Dimension macht immer wieder eins deutlich: Man sitzt zusammen, man schwitzt zusammen. Durch das Fehlen einer affirmativen Rahmung wird der Rahmen der Konvention erst deutlich und lastet bleischwer auf dem Publikum, das sich bloß nicht bewegen darf, um weder die Mit-Zuschauenden oder die als Mit-Tätern realisierten Tanzenden zu stören. Denn wo deutlich wird, was sonst im Grundton untergeht, nämlich Mechanismen der (Selbst-)Disziplinierung wie auch Setzungen technischer Art, wird auch die Gemeinsamkeit in der Theatersituation deutlich. Die Abwesenheit des Lebenssignals Sound wird zum Erweckungserlebnis der Zuschauenden in Bezug auf das Bühnengeschehen und die Möglichkeit zur Mit-Teilnahme. Dabei findet auch eine Auflösung der üblichen Blickrichtung statt. Gewohnterweise wird der Blick des Publikums fest auf die Bühne gerichtet, er verbleibt dort und trennt dadurch das Hier vom Dort. Dadurch konstruiert der Blick einen jenseitigen Ort des Geschehens. Durch die Divergenz des vor allem visuell wirkenden Tanz und der auditiven Erfahrung, die nicht zum gewohnten Blickregime passt, scheitert diese Konstruktion. Es verbleibt beim Zuschauer, ob er diese Blickrichtung durch möglichste Unterdrückung jedes Geräusches versucht herzustellen oder entspannterweise seinen Teil als Teilnehmer beiträgt. Dabei wird auch die Omnidirektionalität der auditiven Wahrnehmungsdimension offenbart und genutzt. Man erlebt das Bühnengeschehen anders, als es sonst der Fall wäre. Es findet eine neue Situierung des Auditiven gegenüber dem Visuellen statt. Denn während normalerweise vor allem dem Visuellen eine sinnstiftende Vorrangstellung gegenüber den anderen Sinnen eingeräumt wird, findet dieses Stück und sein Beitrag zum Diskurs des zeitgenössischen Tanzes vor allem auf der Ebene des Auditiven statt. Es bleibt die Frage, ob man sich als Zuschauender auf diese ungewohnte Situation einlassen möchte, oder die Flucht wählt.

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Über MOUVOIR/Stephanie Thiersch „Bronze by Gold“

Wann: Fr 13.11. + Sa 14.11. jeweils 20:00
Wo: tanzhaus nrw

#1 God is a DJ von Sebastian Schramm
#2 Ekstase und Zwang von Jan Wenglarz

God is a DJ von Bastian Schramm

God is a DJ – so lautet das vielbeschworene Paradigma, das sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch popkulturell oft beschworen wird. Zumindest zeitweise scheint diese Aussage in Stephanie Thierschs Stück „Bronze by Gold“ seine Diskussion zu finden. Das Stück wurde am 13. und 14. November im tanzhaus NRW aufgeführt.

In Zusammenarbeit mit dem Asasello-Quartett, einem Streichquartett für klassische Musik, und dem DJ Elephant Power und nicht zuletzt Stephanie Thierschs Kompanie MOUVOIR entstand eine Collage aus Tanz und Musik, die sich mit den Wechselwirkungen dieser beiden Kunstformen, die beinahe selbstverständlich zusammengehören zu scheinen, beschäftigt.Dabei werden Bilder aus dem kollektiven Erfahrungsschatz der Zuschauenden mit abstrakt wirkenden Szenen verwoben, die diese Wechselwirkung und die Bedeutung von Musik für die Bewegung abtasten. Jeder kennt die gespannte Stimmung die kurz nach dem Beginn einer Clubnacht entsteht, das Dazwischen, das irgendwo zwischen Alltag und der erhofften Flucht vor ihm entsteht, wenn sich die ersten Tanzwilligen auf die Tanzfläche begeben, um die Muskeln zu lockern und sich vertraut zu machen, mit dem eigenen Bewegungsvermögen und mit den anderen Gästen. Eine solche Szene steht zu Beginn des Stücks und wird untermalt durch ein zurückhaltendes DJ-Set von DJ Elephant Power. Zu den Gästen zählen in diesem Moment auch die Zuschauenden, die noch immer hell erleuchtet sind.

Damit ist das Blickregime aufgehoben und die Zuschauenden mitgemeint. Während der Tanz sich in seiner Intensität beharrlich steigert, um in einer ekstatischen Slow-Motion-Szene zu gipfeln, die wie eine dichte Beschreibung des Bewegungsvokabulars musikinduzierter Ekstase anmutet, wird die spezielle Position des DJs klar: er hat die Tanzenden, das Publikum und die Situation in der Hand. Doch ist dies kein Privileg des DJs sondern eine allgemeine Eigenschaft musikalischer Darbietung, wie die Beteiligung des Asasello-Quartetts verdeutlicht. Es wird auf den dionysischen und zerstreuenden Charakter von Musik angespielt und durch sich immer weiter steigernde Intensität des Tanzes verdeutlicht. Es wird nicht mehr aufgehört, sich nach immer mehr ausgestreckt und die Umgebung vergessen. Zwischenzeitlich kommt das Gefühl eines gemeinsamen Rausches auf, der durch die Präsenz der Musik ausgelöst wird. Doch das Bild von der Musik als einer unidirektional wirkenden Herrschaftsinstanz kippt schnell und weicht einem sehr viel demokratischeren Zustand. Die Tanzenden beginnen Einfluss auf die Musik zu nehmen, sei es durch das Verschieben der Plattform, auf der das Streicherquartett sitzt oder durch das gewaltsame Umwerfen von Notenständern, dass sich auch akustisch manifestiert. Insgesamt scheint die Grenze zwischen Konsum- und Produktionshaltung in diesem Stück aufgehoben, die Tänzer nehmen Einfluss auf die Musik und die Musiker stehen gleichberechtigt auf der Bühne und nehmen teilweise sogar selbst am Tanz teil.

Das Stück beweist, dass tanzimmanente Selbstreflektion über die Mittel und Bedingungen des zeitgenössischen Tanzes keinesfalls belehrend und exegetisch sein muss, sondern auch ästhetisch und handwerklich auf hohem Niveau sein kann. Denn sowohl im Tanz, als auch in der Musik wirkt das Stück ausgesprochen ausgereift.

Ekstase in Musik und Tanz: MOUVOIR/Stephanie Thierschmit „Bronze by Gold“ im tanzhaus nrw © Martin Rottenkolber

Ekstase in Musik und Tanz: MOUVOIR/Stephanie Thierschmit „Bronze by Gold“ im tanzhaus nrw © Martin Rottenkolber

Ekstase und Zwang von Jan Wenglarz

„Bronze by Gold“, das neue Stück der durch das Land NRW spitzengeförderten Choreografin Stephanie Thiersch, ist eine Zusammenarbeit ihrer Kompanie MOUVOIR mit den Musikern des Asasello-Quartetts und DJ Elephant Power. Jetzt fand die Düsseldorf-Premiere im Tanzhaus NRW statt.

Für das, was im Programmtext angekündigt war, fängt „Bronze by Gold“ trügerisch ruhig an. Während die Zuschauer in den Saal strömen, läuft dezent elektronische Musik und die Tänzer bewegen sich sanft, jeder für sich, mit einem leichten Lächeln im Takt der Musik. Die Stimmung ist wie auf einer Party, 20 Minuten nach dem Einlass: verhalten fröhlich. Während das Licht die für diesen Abend typische Bronzefärbung annimmt, rücken Tänzer und Musiker immer näher an das DJ-Pult und formen ein monumentales Standbild, das die Assoziation von einem Altar beim Zuschauer weckt. Dann zerbricht die Gemeinschaft zum Sound von rückwärts abgespielter Musik und die für das Stück prägende Unruhe und das Gefühl des ziellosen Irrens, sind zum ersten Mal spürbar.
Die Integration der Musik – und vor allem der Musiker – ist in diesem Stück auf beeindruckende Weise gelungen. Bei gleichbleibend virtuosem Spiel, lassen sich die Mitglieder des Asasello-Quartetts auf jedes performative Element ein und geben so eine sinnbildliche Verkörperung von Rage ab. Die Kombination aus sieben Tänzerinnen und Tänzern, den vier Musikern des Streichquartetts und einem DJ, die über große Teile des Stücks zeitgleich auf der Bühne sind, ist überzeugend gleichberechtigt inszeniert: Zum einen gibt es keinen Bruch zwischen klassischer und elektronischer Musik. Beides geht immer mehr ineinander über. Die Musik des Streichquartetts wird gesamplet und ist schließlich in ihrer energetischen Direktheit ebenso rauschhaft wie es elektronische Musik nur sein könnte. Zum anderen hebt sich der Unterschied zwischen Musikern und Tänzern im Laufe des Stücks auf und die Inszenierung sielt immer wieder mit dem Übergriff auf das andere Genre. Mal wird das Quartett auf einem beweglichen Podest über die Bühne gezogen, mal beziehen Tänzer und Musiker die Musikinstrumente in ihre Bewegungen ein. In den Momenten der Stille bleibt das laute, schnelle Atmen der Tänzer zurück, das den Takt hält und erst gar nicht den Eindruck von Erholung oder Ruhe aufkommen lässt. Durch ebendiese Pausen kann die Intensität allerdings dramaturgisch nicht gehalten werden. Es entstehen Lehrstellen im Stück, in denen die Atmosphäre verloren geht.

Gegen Ende wird das Tempo stetig erhöht und der Tanz gleicht mehr und mehr einem Zucken, einem epileptischem Anfall oder erinnert an Spastiken. Der Zustand der Ekstase. Das Ausstoßen von begeisterten Rufen klingt verzweifelt und gequält und die Musik steigert sich zu einem vertonten Nervenzusammenbruch. Die Berührungen zwischen den Akteuren wirken wie eine Suche nach Orientierung, nach Halt. Doch im Sog des Rausches bleibt es lediglich bei unbeholfenen Versuchen der Annäherung, die Überforderung und Machtlosigkeit des Einzelnen ausstellt.
Diese fragile Konstellation der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch bewegt sich permanent auf einen Höhepunkt zu, der nie erreicht wird, und zeigt, wie leer, wie zwanghaft bloße Ekstase sein kann. Es scheint, als wäre der Zusammenbruch die einzig mögliche Konsequenz, der einzige Weg, doch noch zum Stillstand zu kommen. Stolpernd, manisch im Kreis um das Streichquartett rennend, setzt der Stillstand abrupt ein. Ein Ende, das überrascht und zugleich unzufrieden macht. Ist dieses Stück ein gesellschaftliches Portrait oder geht es um Ziellosigkeit und blinden Egoismus im eigenen Leben? Nach all der visuellen und akustischen Steigerung, entlässt die Inszenierung den Zuschauer mit dem Gefühl Überflutung, ohne wirklich zu berühren. Das ist zu wenig für ein Stück, das so viel personellen und künstlerischen Aufwand betreibt.

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Über Christian Rizzo/L’Association Fragile „Based on a true Story“

Wann: 07.11. 20:00 + 08.11. 18:00
Wo: tanzhaus nrw

#1 Wenn Männer tanzen von Laura Biewald
#2 Von der Freiheit von Stephanie Claßmann
#3 Der Kreis, in dem alle willkommen sind von Barbara Franke
#4 Verbindungen knüpfen von Jan Wenglarz
#5 Zarte Verbindung von Jessica Scheulen

http://www.youtube.com/watch?v=Ixmq1-R6_JQ

Wenn Männer tanzen von Laura Biewald

Das Tanzstück „Based on a true Story“ des französischen Choreografen und bildenden Künstlers Christian Rizzo startete am Samstag, 07.11.2015 im tanzhaus nrw mit Trommelwirbel und unerwartet rockigem Sound.

Dieses Stück beginnt langsam. Es beginnt zärtlich und behutsam und mit einer starken Intention: Es will zusammenbringen, was zusammen gehört. Dies sind zunächst einmal acht Tänzer, die nach und nach die Bühne betreten und sich jeweils in schon vorhandene synchrone Formationen oder harmonisch angelegte Gruppenkonstellationen einreihen. Repräsentativ stehen diese Männer für ein Kollektiv, jeder einzelne ist ein Glied in einer Kette, die niemand zu zerreißen vermag, weil alle Eins sind, miteinander verbunden und nicht, wie so oft vorgestellt, voneinander getrennt.

Christian Rizzo bringt in „D‘après une histoire vraie“, so der französische Originaltitel, diese Themen wie Zusammenhalt, Miteinander, Achtsamkeit und Verbundenheit in Form von türkischen Volkstänzen auf die Bühne, die bewegungssprachlich völlig und gekonnt in ihre Einzelteile zerlegt wird. Mit Hilfe von Verlangsamung, Wiederholung oder Akzentsetzung stellt Rizzo diese Elemente heraus und präsentiert sie dem Publikum wie unter einem Vergrößerungsglas. Separiert und verdichtet zugleich ordnet sich dieser Tanz immer wieder in der Form des Kreises an – auch im übertragenen Sinne: So mutet das, was auf der Bühne passiert, teilweise zutiefst archaisch an; Männer unter sich in ihrer schönsten Form. Denn auch, wenn sich eine geballte Ladung Testosteron ihren Weg durch die Performance bahnt, volle Bärte und lange Haare in die Bewegungen eingebaut werden, findet der Tanz jenseits von Grobheit, Muskelspielen und Kräftemessen statt. Es geht um Stolz, ja, aber vielmehr im Sinne von Anmut und einem ungeheuren Feingefühl für einander. Immer wieder finden die Tänzer (Fabien Almakiewicz, Yaїr Barelli, Massimo Fusco, Miguel Garcia Llorens, Pep Garrigues, Kerem Gelebek, Filipe Lourenço und Roberto Martínez) in kleinen oder großen Konstellationen zusammen, verschlingen sich ineinander und bleiben stets in Kontakt oder nächster Nähe. Sie haben immer ein Auge aufeinander, versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden.

Begleitet werden sie dabei von den beiden Schlagzeugern Didier Ambact und King Q4, denen es gelingt, das Publikum einerseits in den musikalischen Nahen Osten zu entführen, um es dort ein wenig träumen zu lassen und die andererseits auch so rockig und lässig im Flow der Ekstase eins mit der Tänzergruppe werden, dass auch die Zuschauer von der einzigartigen Dynamik und Sound- sowie Bewegungsgewalt ins Hier und Jetzt hineingerissen werden.

Selten wurde Tradition so innovativ aufgearbeitet, Folklore wieder in Mode gebracht und ihn als Sinnbild für Zusammenhalt im wahrsten Sinne herausgestellt. Eine Botschaft und Vergegenwärtigung, derer sich das Publikum nicht entziehen kann, so anrührend und bewegend kommt sie daher.

Von der Freiheit von Stephanie Claßmann

„Based on a true story“ (Originaltitel: „D’après une histoire vraie”) von Christian Rizzo/L’association fragile – ein bestürzend lebendiges Gastspiel im tanzhaus nrw am 7. und 8. November 2015

Acht Männer, durchgeschwitzt, außer Atem, in einer Reihe am Bühnenrand stehend, legen zur Verbeugung die Hände aufs Herz, schauen demütig hoch in den Zuschauerraum, lächeln und lassen sich einen Moment lang treiben in der Flut der Begeisterung, die ihnen so aufrichtig entgegen strömt. – Wenn etwas zu Ende geht, erinnert man sich an den Anfang. Daran, wie der erste Tänzer gleich einem Zuschauer den Saal betrat, seine Schuhe auszog und vor geräuschloser Kulisse die ersten Bewegungen in den Raum malte. Daran, wie die Kraft zweier Schlagzeuge (gespielt von Didier Ambact und King Q4) den Boden unter den nackten Füßen der Tänzer zum Beben brachte und ungefragt auch den Körper jedes Einzelnen im Publikum mit sich riss. An den Moment, in dem man auf wunderbare Weise sich selbst verlor und wider die Vernunft zu glauben wagte, es könne in der Welt nichts Schlimmes geschehen.

„Based on a true story“ feiert das Leben. Losgelöst von jeder Erzählung und getragen von bewundernswerter Ehrlichkeit spiegeln sich die Grundvoraussetzungen menschlicher Existenz: die Wahrnehmung durch den anderen, Interaktion, Kommunikation und vor allem: Berührung. Traditionelle, folkloristische Bewegungsformen werden aufgesprengt und neu zusammengefügt, durch moderne Elemente ergänzt und überlagert und letztlich in einem Bild kollektiver Hingabe wieder eingeschmolzen. Der Zuschauer wird hineingezogen in dieses Bild; man fühlt die Leidenschaft der Tänzer, die Vibrationen in der Seele. Ganz natürlich fliegt hin und wieder ein Schmunzeln über ihr Gesicht – ihre Freude am Tanz überschwemmt die gesamte Tribüne.

Und so kommt man nicht umhin sich nach Ablauf der 75 Minuten und Rückkehr in den sicheren Rahmen der eigenen Identität dieses neu gewonnenen, faszinierend intensiven Lebensgefühls wieder beraubt zu fühlen. Atmet man tief ein, spürt man mit einem leichten Ziehen die Leere, die das Stück, wie jeder Rausch, auf so bittersüße Weise zurücklässt. „Based on a true story“ – beruhend auf einer wahren Geschichte; eine Geschichte so wahr und so nah, dass man sie kannte, bevor man wusste, wovon sie handeln würde; aufrüttelnd und inspirierend; getanzt mit berührender Menschlichkeit. Und im Kopf bleibt ein Gedanke: Mehr leben.

Der Kreis, in dem alle willkommen sind von Barbara Franke

Über Christian Rizzos „Based on a true story“ im tanzhaus nrw

Wo steht der Begriff „Community“, der mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik offensichtlich wieder einen fundamentalen Diskurs-Bedarf findet, eigentlich im zeitgenössischen Tanz? Wie kann die Kunst, ohne eine andienende oder gar platte Position (Stichwort: Flüchtlinge auf der Bühne) einzunehmen, dazu Stellung beziehen? Christian Rizzo, französischer Choreograf, Set-Designer und Regisseur, widmet sich diesem Thema in seinem neuen Stück „D’après une histoire vraie“ („Based on a true story“) unter Verwendung von türkischen Volkstänzen, der am Wochenende im Tanzhaus NRW lebendiger denn je erschien.

Es ist ein in sich geschlossener, keinesfalls aber nach innen gewendeter Tanz, den acht Männer hier praktizieren. Es ist auch kein Tanzstück, bei dem der Zuschauer aufgrund seiner Thematik meinen könnte, es suche nach öffentlicher Zustimmung. „D’après une histoire vraie“ ist Kommunikation zwischen den Tänzern, dem Publikum – und umgekehrt. Die folkloristischen und religiösen Gruppentänze bilden einen Reigen von Berührungen, werden ästhetisch derart stilisiert, das sie Sinnbildcharakter erhalten: Ein Arm um eine Schulter, der eine Freundschaft besiegelt, der Kreis als Ergebnis eines gemeinschaftlichen Dasein, in dem alle willkommen sind.

So mancher möchte sich dazu gewiss Musik vorstellen. Hier findet auch der Bruch statt, den Christian Rizzo setzt. Die Schlagzeuger Didier Ambact und King Q4 verwandeln die in Dämmerlicht getauchte Bühne in eine psychedelische Soundlandschaft, in der auch trancehafte Bewegungen und Headbanging ihren Platz finden. Sie lösen jegliches Klischee aus dem traditionellen Volkstanz, das auf den Begriff „eingestaubt“ verweisen könnte.
Im Gegenteil, hier bebt alles. Die Tänzer begegnen sich in immer wieder neuen Konstellationen, als würden sie einander begrüßen und dann zum nächsten wechseln. Es scheint die Freude am Leben zu sein, der Moment des Zusammenseins, den Rizzo betonen will. Die Bewegungen wirken weder gekünstelt, noch virtuos, sondern natürlich, ungeglättet, rau.

So erschafft Rizzo, anders als zum Beispiel in seinen früherem Tanzstück „Vorteil des Zweifels“, das sich mehr zu Kontemplation und Träumerei verpflichtet, einen transkulturellen Rahmen. Rizzo inszeniert hier ein Miteinander, voller Achtsamkeit und ohne in einen kollektiven Brei zu geraten. Ein starker Beitrag des zeitgenössischen Tanzes. Ein starker Beitrag zu der aktuellen gesellschaftlichen Debatte unserer „global communities“.

Verbindungen knüpfen von Jan Wenglarz

Über Christian Rizzos „Based on a true story“ im tanzhaus nrw

Christian Rizzos „Based on a true story“ ist ein Stück, in dem acht Tänzern und zwei Schlagzeuger faszinierend subtil mit Elementen des Volkstanzes zwischenmenschliche Verbindungen entstehen lassen. Wie entsteht eigentlich Gemeinschaft? Ein Mann tritt auf, zieht seine Schuhe aus und betritt die Bühne. Nach und nach folgen die anderen Tänzer, treten aus dem Halbschatten des Bühnenrands in die Mitte. Sofort entsteht der Eindruck einer Synchronität, die in ihrer Zögerlichkeit aber frei von jeglichem Zwang ist. Es werden rhythmische Strukturen erkennbar und mit der sich steigernden Intensität der live gespielten Schlagzeuge, ein Muster in den Bewegungen der Tänzer.

„Based on a true story“ erzählt keine Geschichte, sondern zeigt vielmehr, wie sich gestische Absprachen, die Suche nach direktem Kontakt und ein Bewusstsein für Körperlichkeit, zu einem Stück verbinden. Alles, was hier entsteht, rührt von einer kollektiven Emotion und einer grundlegenden Aufmerksamkeit zueinander her. Durch die Achtsamkeit gegenüber den Bewegungen des jeweils anderen, ergeben sich fortlaufend neue Formen. Jedoch bleibt die übergeordnete tänzerische Struktur bestehen, unabhängig davon ob nun Gruppen von zwei oder drei Männern, jeder für sich oder alle miteinander tanzen. Es gibt keine feste Vorgabe, keine ideale Zielform, die es zu erreichen gilt. Es ist vielmehr ein Kreisen, ein Suchen, das nicht endet und durch die Stetigkeit der Bewegung immer neue Verbindungen entstehen lässt.
Das Stück ist geprägt von einer großen Kontinuität. Christian Rizzo schafft es, die einzelnen Elemente aus verschiedenen Volkstänzen zu einer einheitlichen Bewegungsstruktur zu verweben. Was die acht Tänzer auf der Bühne verbindet, ist das Gespür für die Körper neben ihnen und ein Blick, der sich vom Selbst abwendet und auf den großen Zusammenhang schaut.
Bei all der archaischen Energie und der Maskulinität der Akteure, ist dieses Stück zu keinen Zeitpunkt bloß rau, sondern immer präzise in seiner Struktur. Das vorsichtig sanfte Stampfen und Tänzeln, die geöffneten Arme und der gebeugte Kopf, sind Bewegungsmotive, die sich in sämtlichen Konstellationen über die gesamte Bühne spannen und zu jedem Zeitpunkt Zugehörigkeit signalisieren. Das, was zwischen den Tänzern steht, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine stille Vereinbarung.

Das zentrale Thema des Stückes ist die Bildung von Gemeinschaft und zwischenmenschlicher Verbindungen und in dieser Form der Gruppenkonstellation steckt unglaublich viel Dynamik. Das Bewegungsvokabular des Volkstanzes liefert die Prinzipien für eine Begegnung und eröffnet eine Vielzahl an Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren. Dabei entsteht nie der Eindruck von ritueller Verschworenheit oder bloßem Brauchtum. Der Prozess der Gemeinschaftsbildung, der im Tanz zum Ausdruck kommt, ist viel mehr geprägt von einem genauen Ausloten der persönlichen Freiheiten, von einer Verspieltheit und der Begeisterung für die kollektive Erfahrung, die sich besonders zum Ende hin auf den Zuschauer überträgt. Ebenfalls die – auch optisch durch ein Podest hervorgehobene – Präsenz der Schlagzeuger, unterstreicht die Direktheit und Körperlichkeit des Tanzes. Während die einleitenden Szenen noch akustisch zurückhaltend und eher akzentuiert untermalt werden, steigern sich die Schlagzeugrhythmen bis auf eine energetische, durchdringende Stufe und lassen jeden Zuschauer im Saal die Vibrationen der Bass Drum in seinem Körper spüren.

Im Laufe des Abends fühlt sich der Zuschauer immer mehr einbezogen in das, was auf der Bühne passiert. Immer deutlicher formt sich eine Gemeinschaft aus den Tänzern, die anfangs noch einzeln die Fläche betreten haben und mehr und mehr der Eindruck, dass Begeisterung in den Gesichtern der Tänzer gerade vollkommen aufrichtig und das Resultat eben dieser Tanzform und Intensität ist. Das letzte Bild des Abends ist ein immer wieder entstehender und sich auflösender Kreis. Während das Licht abnimmt, lösen sich Menschen aus der kreisförmigen Umarmung heraus, um an anderer Stelle wieder Teil von ihr zu werden.

Zarte Verbindung von Jessica Scheulen

Christian Rizzo mit „Based on a true story“ am Wochenende im Tanzhaus NRW

Das Stück „Based on a true story“ basiert auf einer wahren Geschichte und stammt von dem französischen Choreografen Christian Rizzo. Wahre Geschichten machen neugierig. Die vier Worte des Titels referieren auf den Impuls, das Stück zu kreieren, den Christian Rizzo am Ende einer Vorstellung im Jahr 2004 in Istanbul hatte. Damals sprang eine Gruppe von Männern auf die Bühne, boten einen kurzen Volkstanz dar und verschwanden genauso schnell wieder.

Rizzo lässt in seiner Kreation acht Männer barfuß und in Alltagskleidung in den immer wiederkehrenden kurzen Bewegungssequenzen aus Volkstänzen und zeitgenössischen Elementen in Verbindung treten. Sie lösen sich voneinander, finden sich wieder, gehen neue Konstellationen ein. Eine Bewegung geht über in den nächsten, mit Leichtigkeit geführten Impuls für den nächsten Schritt, in die nächste Bewegungsfolge. Dabei tanzen sie in Soli, in Zweier, Dreier und Vierer-Anordnungen oder als ganze Gruppe in einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit. Die unaufhörlich fließende Synchronität der Tänzer, ob er einzeln ist oder in der Gemeinschaft, wird immer wieder durch die typischen Sequenzen des Volkstanzes, wie durch die mit verschränkten Armen und Händen Schultershimmys, gebrochen, begleitet, dynamisiert, um neue Formen zu bilden.

Selten nur wird dieses hinreißende „Perpetuum Mobile“ durch kurze Stopps der Tänzer kaum merklich angehalten. Einen Atemzug lang nur. Es ist ein unaufhörlicher Reigen der Begegnungen, der die unbändige Freude am Tanz visualisiert. Dabei fügt sich der am Boden Liegende harmonisch in das Gesamtgeschehen ein und setzt einen ruhenden Akzent. Die Bühne wird in Kreisformationen oder geometrischen Anordnungen und Linien bespielt, die Tänzer wenden sich dem Zuschauer hin drehen sich weg, erobern sich in langsamen und schnelle Parts den Raum, um ihn wieder freizugeben. Als die Tänzer sich, nachdem sie die minimalistische Requisite – Sessel und Grünpflanze – von der Bühne tragen, und sich an den Bühnenrand stellen, werden sie zum Zuschauer ihrer Kollegen. Rizzo eröffnet diesen Reigen voller zarter, liebevoller Verknüpfungen der Tänzer im Dunkel und ohne Musik. Sie bewegen sich in rhythmischem Einklang zu- und miteinander, als ob sie zu einer Person zusammengeschmolzen sind. Die zur Bühne horizontal opulent angeordneten zwei Schlagzeuge begleiten das Geschehen mit einer ereignisreichen kongenialen Percussion. Gerade erst haben die Tänzer sich den Bühnen raum erobert, da betreten die beiden Live-Perkussionisten Didier Ambact und King Q4 die Bühne und führen mit leisen zarten Tönen die Tänzer durch ihren Tanz. Allmählich steigern sie sich in wuchtige Tribal-Tänze und psychedelisch anmutenden treibenden Rhythmen. Sie nehmen den Rhythmus mit ihren Füßen auf, so dass ein meditativer Klangteppich entsteht. Ihre Körper sind im Einklang mit der Musik. Lange Haare werden geschwungen, Sprünge vollzogen und Hebefiguren gezeigt.

Ein faszinierendes Stück, das sanft beginnt, sich steigert. Ohne Härte, dennoch kraftvoll und faszinierend, den Zuschauer wegtragend, absorbiert von den rhythmischen Schlägen der Drums und der Bewegung. Tänzer, Musik und Zuschauer werden zu einer Gemeinschaft. Ein Stück, das durch Berührung berührt.

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