Über Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca „SOLI“

Wann: 03.12. 20:00 + 04.12. 20:00
Wo: tanzhaus nrw

Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca zeigen die deutsche Premiere von SOLI am tanzhaus nrw Foto : Benoî”te Fanton

Chétouane/Maertens/Mandafounis/Marklund/Mosca zeigen die deutsche Premiere von SOLI am tanzhaus nrw /
Foto : Benoî”te Fanton

Trockengelegter Tanz von Bastian Schramm

Stille ist für den menschlichen Wahrnehmungsapparat eine Provokation. Die Wirkung dessen konnte am 03. Dezember bei der Deutschlandpremiere von „SOLI“, einer Kollaboration zwischen Laurent Chétouane, Ioannis Mandafounis, Mikael Marklund, Roberta Mosca und dem Lichtdesigner Jan Maertens beobachtet werden. Stille, die Leute aufspringen lässt, die empört und zu hämischem Lachen führt. Dies waren drei der Reaktionen, die sich im Publikum am Freitag beobachten ließen, obwohl es auf der Bühne nichts wirklich Provokatives zu sehen gab.
Auf der Ebene des Visuellen waren am Donnerstagabend Tanzende zu sehen, die auf der komplett entkernten großen Bühne des Tanzhaus NRW so etwas wie persönliche Räume auszuloten versuchten. Die Bewegungen sind dabei als fragil und tastend zu beschreiben, sie sind neugierig und unschuldig. „Wo fängst du an, wo höre ich auf?“ Dies könnten Fragen sein, die formuliert würden, wenn der Tanz verbalisiert werden sollte. Das ist interessant und ästhetisch ansprechend anzusehen, doch dies allein ist in keiner Weise provozierend. Was der Zuschauer so intensiv erlebt, ist die unbeschreibliche Stille, die für knapp eine Stunde im Raum herrscht. In der Abwesenheit einer normalerweise künstlich produzierten Klangarchitektur verselbstständigt sich die auditive Dimension. Trockengelegter Tanz, danse brut sozusagen.
Im zeitgenössischen Tanz wird auf viele Arten versucht, die leibliche Ko-Präsenz von Publikum und Tanzenden begreifbar zu machen. Doch egal wie effektvoll sonst versucht wird, dies zu inszenieren, „SOLI“ beweist, dass eine der besseren Möglichkeit im Entzug liegen. Tanz und Musik sind im allgemeinen Verständnis fest miteinander verbunden. Doch führt Musik auch dazu, dass sich das Publikum hinter dem Soundtrack in einer Art „splendid isolation“ wiederfindet, also einer angenehmen Isolation, die die klassische Getrenntheit von Zuschauer und Darsteller erst ermöglicht. Denn die Zuschauenden sitzen klassischerweise nicht nur im Dunkeln und schauen auf die erleuchtete Bühne, sondern sitzen, bildlich gesprochen, auch hinter einer einseitig durchlässigen Soundwand.
In der Stille von Donnerstagabend wurde jedes lautere Atmen, jedes Husten hörbar. Auch das Rascheln von Winterjacken, die es als Signifikant der ungemütlichen Dezembernacht mit in Zuschauerraum geschafft haben und mit ihrer Anwesenheit diesen heterotopen Raum stören und beschämt ausgezogen werden, drängen sich einem auf. Geräusche von Körpern, die bewegt werden, mischen sich mit dem metallischen Knistern der Scheinwerfer die ein- und ausgeschaltet werden und mit denen versucht wird einen griffigen Untergrund für die Choreographie zu liefern. Die Lichtinstallation ersetzt auf gewisse Weise den Teppich den normalerweise die Musik zum Tanzstück liefern würde. Sie scheitert darin zwar, dies aber in einem positiven Sinne, denn die Abwesenheit der auditiven Dimension macht immer wieder eins deutlich: Man sitzt zusammen, man schwitzt zusammen. Durch das Fehlen einer affirmativen Rahmung wird der Rahmen der Konvention erst deutlich und lastet bleischwer auf dem Publikum, das sich bloß nicht bewegen darf, um weder die Mit-Zuschauenden oder die als Mit-Tätern realisierten Tanzenden zu stören. Denn wo deutlich wird, was sonst im Grundton untergeht, nämlich Mechanismen der (Selbst-)Disziplinierung wie auch Setzungen technischer Art, wird auch die Gemeinsamkeit in der Theatersituation deutlich. Die Abwesenheit des Lebenssignals Sound wird zum Erweckungserlebnis der Zuschauenden in Bezug auf das Bühnengeschehen und die Möglichkeit zur Mit-Teilnahme. Dabei findet auch eine Auflösung der üblichen Blickrichtung statt. Gewohnterweise wird der Blick des Publikums fest auf die Bühne gerichtet, er verbleibt dort und trennt dadurch das Hier vom Dort. Dadurch konstruiert der Blick einen jenseitigen Ort des Geschehens. Durch die Divergenz des vor allem visuell wirkenden Tanz und der auditiven Erfahrung, die nicht zum gewohnten Blickregime passt, scheitert diese Konstruktion. Es verbleibt beim Zuschauer, ob er diese Blickrichtung durch möglichste Unterdrückung jedes Geräusches versucht herzustellen oder entspannterweise seinen Teil als Teilnehmer beiträgt. Dabei wird auch die Omnidirektionalität der auditiven Wahrnehmungsdimension offenbart und genutzt. Man erlebt das Bühnengeschehen anders, als es sonst der Fall wäre. Es findet eine neue Situierung des Auditiven gegenüber dem Visuellen statt. Denn während normalerweise vor allem dem Visuellen eine sinnstiftende Vorrangstellung gegenüber den anderen Sinnen eingeräumt wird, findet dieses Stück und sein Beitrag zum Diskurs des zeitgenössischen Tanzes vor allem auf der Ebene des Auditiven statt. Es bleibt die Frage, ob man sich als Zuschauender auf diese ungewohnte Situation einlassen möchte, oder die Flucht wählt.

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