Wann: 27. (Premiere) + 29. + 30. Januar, jeweils 20:00
Wo: FFT Düsseldorf, Kammerspiele
.Fantasiewesen, die sich vom Menschlichen ablösen wollen von Barbara Franke
Da schwebt ein Tänzer mit Ballettschritten über die Bühne. Vor dem Publikum macht er zarte, ballerinenhafte Bewegungen, die durch seine strammen Oberschenkel aber wie ein Bruch wirken. Dann kommt eine Frau dazu; sie legen sich gemeinsam auf den kalkweißen Boden und strecken die Beine bis in die Zehenspitzen aus, um sie dann immer abwechselnd vor und hinter ihren Körper zu schieben. Fast so, als würden sie sich für die Ballettstunde warmmachen.
Doch, was dann auf der Bühne des FFTs geschieht, das im Rahmen des Festivals „YOU‘RE A CYBORG BUT THAT’S OK“ DJ Billinger & Schulz, zwei mehrfach preisgekrönte Choreografen und als „Hoffnungsträger“ der deutschen Tanzszene geltend, eingeladen hat, gleicht alles andere als klassischem Ballett. In „Unlikely Creatures“, das heute im FFT uraufgeführt wird, verändern sich die Tänzer zu bizarren Fantasiewesen, die sich von dem Menschlichen ablösen wollen. Vielleicht auch als eine Abnabelung vom klassischen Tanz, hin zur zeitgenössischen Avantgarde zu verstehen, die mit Elementen wie der – von der zivilisierten Gesellschaft verpöhnten – Nachtkeit spielt, um in kein Schema mehr hineinpassen zu müssen. Die Ausgangsfrage, die Billinger & Schulz sich nämlich stellen, war: „Was ist normal? Und warum geht der Mensch nie ganz in seinem Bild auf?“
In ein Schema passen die Performer Frank Koenen, Judith Willem, Jungyun Bae, Ludvig Daae und Nicolas Niot auch nicht. Mit „Unlikely Creatures“ tanzen sie ein Stück, das von Dualität geprägt ist. Es ist ein Auf- und Abdrehen von SloMo (Slowmotion), ein Gegensatz von im Raum herrschender Stille, die ganz plötzlich zu einem Wendepunkt kommt, weil irgendein dröhnender Rock-Pop-Electro-Song über einen hereinbricht, und es ist ein Bruch mit den klassischen Tanzbewegungen, die bei Billinger & Schulz mit zeitgenössischem „Disco-Dance“ gekoppelt sind. Dazu kommt der Rollentausch, der in „Unlikely Creatures“ forciert wird. Die Frauen heben teilweise die Männer hoch, und sie sind es, die am Anfang des Stücks auf die Bühne kommen, um die Zartheit einer Ballerina zu verkörpern. Die Ballerina, die nur in dem Bild mit einer fragil aussehenden Frau aufgeht, nicht aber mit dem robusten Körperbau eines Mannes.
Die Metamorphose zu den Kreaturen, ähnlich wie bei Kafkas „Die Verwandlung“, findet durch den andauernden Kleiderwechsel statt, den die Performer am Rand der Bühne durchlaufen. Anfangs noch sittenhaft, verlieren die Tänzer zunehmend an Kleidungsstücken, bis sie am Ende splitterfasernackt über die Bühne des FFTs rennen, angemalt mit knallbunter Neonpaste, die sie sich willkürlich über den ganzen Körper schmieren; sogar so weit, dass ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen sind. Dann klatschen ihre Körper aufeinander, die Farbe bleibt auf dem Boden der ausgeleuchteten Bühne kleben, das Licht flimmert und der inszenierte Fernseher auf der Bühne rauscht nur noch. Das ist die Ektase, der Höhepunkt des Stücks, das noch extremer, noch skurriler wirkt als die bisherigen Choreografien von Billinger & Schulz, in denen es ebenfalls darum ging, Tabus zu brechen.
Klar: Böse Zungen würden jetzt vielleicht sagen „Nackt auf der Bühne rumzurennen ist längst kein Tabubruch mehr und dazu auch noch ausgelutscht“. Billinger & Schulz verkörpern diesen Bruch mit der Normalität aber mit so vielen Bildern und Figuren, dass nichts davon klischeehaft wirkt. Im Gegenteil: Billinger & Schulz geben mit „Unlikely Creatures“ ein Statement ab: Wir alle denken in Schemen. Das ist nun mal so. Aber was ist schon normal?
Das Festival YOU’RE A CYBORG BUT THAT’S OK richtet sich an Nerds, Digital Natives, Alles- und Nichtswisser, Jugendliche, junge Erwachsene, Kinder und Familien. Im Zentrum einer Vielzahl von künstlerischen Positionen zwischen Performance, Installation und Lecture steht der Mensch und sein Verhältnis zu Technologie und die Frage: Sind wir längst Cyborgs und wenn ja, ist das ok? Das Festival fand im Rahmen des Projektes „Take-off: Junger Tanz“ vom 17.01. – 30.01. im tanzhaus nrw, FFT Düsseldorf und Jungen Schauspielhaus statt. Mehr Infos gibt es hier.
Pingback: Über Billinger & Schulz „UNLIKELY CREATURES (1) who we are“ / Im Rahmen des Festivals YOU’RE A CYBORG BUT THAT’S OK | Wunderwaldverlag
Schade, dass es kein Video darüber gibt. Würde mich interessieren. Ich habe auch im Internet nichts gefunden.
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