Wann: 21. – 23. April 2016
Wo: tanzhaus nrw
#1 Wut, Zerissenheit und junge islamische Männer von Jan Wenglarz
#2 Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes von Bastian Schramm
Wut, Zerissenheit und junge islamische Männer von Jan Wenglarz
Das Tanz- und Theaterkollektiv Renegade hat in Kooperation mit Regisseur Neco Çelik ein Stück über den Islam und im Besonderen über muslimische Männer entwickelt. „BASMALA – Freund oder Feind“, das Resultat dieser Zusammenarbeit war nun im Tanzhaus NRW zu sehen. Am 23.04.2016 fand die letzte von drei Vorstellungen mit anschließendem Publikumsgespräch statt.
Die erste Szene des Stücks etabliert sogleich die Grundstimmung des Abends. Das Musikvideo zu „Lasst die Affen aus’m Zoo“ des Gangsterrappers Haftbefehl wird in Übergröße an die Rückwand der Bühne projiziert. Dreieinhalb Minuten Gewalt, Wut und Provokation in Text und Bild. Was hat Haftbefehl mit dem Islam zu tun?
Nun, genau genommen ist „BASMALA – Freund oder Feind“ kein Stück über den Islam. Die Intention ist nicht, religiöse Inhalte zu vermitteln oder aufzuklären. Stattdessen werden junge muslimische Männer gezeigt, die sich mit ihrer Religion und deren Darstellung auseinandersetzen. Viele Elemente aus dem Rap-Video tauchen so auch im Verlaufe des Stückes immer wieder auf: Gesten der Gewalt, der Machtdemonstration und vor allem der Wut. Die anfängliche Starre (man kann sagen Ohnmacht) löst sich langsam in ein Schwanken auf und es entwickelt sich eine tänzerische Reaktion. Wiederholt wird im Stück mit religiöser Symbolik gearbeitet. Sowohl Gebetsgesten, als auch Selbstgeißelung (die eigentlich kein Teil des Islams ist) finden sich zwischen dem überwiegend durch Hip-Hop geprägten Tanz. Das gesamte Stück vermittelt einen Eindruck von großer Zerrissenheit und unbeherrschter Wut. Jeder der fünf Tänzer bleibt für sich. Es entsteht keine Form der Kommunikation untereinander und gerade durch diesen rituellen Vorgang der Abkapslung wird das Publikum im Verlauf des Stückes immer mehr ausgeschlossen. Der Höhepunkt der Entfremdung ist die völlige Verschleierung. Vier der fünf Tänzer betreten gehüllt in schwarze Tücher die Bühne. Viel deutlicher und bildlicher kann man die Themen Ausgrenzung, Zugehörigkeit und Identität nicht darstellen.
„Das Stück hat keine Message“, konstatiert Regisseur Neco Çelik im anschließenden Publikumsgespräch. Es ginge ihm darum, abseits klischeehafter Bilder die Auseinandersetzung von jungen Männern mit der Religion zu zeigen und auf die undifferenzierte und verallgemeinernde Wahrnehmung des Islams aufmerksam zu machen. Diesen Zustand beschreibt das Stück zwar bestens, darüber hinaus fehlt es aber an Impulsen. Auch wenn ein kommunikatives Tanztheaterstück nicht das Ziel des Performance war, so bleiben einem die Darsteller letztlich genauso fremd, wie in der anfänglichen Schockstarre des Stückes. Ansätze von persönlichem, individuellem Ausdruck finden sich lediglich in den etwas freieren Tanzszenen, bei denen die tänzerischen Vorlieben der einzelnen Darsteller durchschimmern. Ansonsten sind die Gesten gleichgeschaltet, nicht narrativ und liefern dem Zuschauer keinen (emotionalen oder inhaltlichen) Anhaltspunkt. Durch den monotonen Verlauf des Stückes verlieren selbst stärkere Gesten mit der Zeit an Kraft und Eindruck.
Die vom Regisseur kritisierte Pauschalisierung und Namenlosigkeit in der Darstellung des Islams wird in dieser Performance nie überwunden und die bloße Projektion eines eh schon präsenten Musikvideos (ca. 4,5 Millionen Views auf YouTube) reicht als Medien- und Gesellschaftskritik heutzutage einfach nicht aus. Wäre nicht viel eher diese Aufführung die Gelegenheit gewesen, etwas zu sagen, zu erklären oder zumindest anders zu machen? Gerne hätte man einen persönlichen Bezug der Tänzer und des Regisseurs zum Thema gesehen. Die anschließende Diskussion, die dem Stück in Sachen Länge schon sehr nahe kommt, übertrifft dieses jedenfalls deutlich in Bezug auf Aktualität und Aussagekraft.
Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes von Bastian Schramm
Verunsicherung liegt in der Luft, der Applaus lässt auf sich warten – so geht das Stück mit dem Titel „Basmala – Freund oder Feind“ von Regisseur Neco Çelik im Tanzhaus NRW zu Ende. Das, was hier zu sehen war, geschah – so legt es der Titel nah – im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes. So lautet die Basmala, eine Segensformel, die bis auf eine Ausnahme am Anfang jeder Koransure steht.
Den Auftakt des Stückes bildet ein Video des Rappers Haftbefehl. Bilder von Gewalt, aber auch männlicher Selbstbehauptung sind zu sehen. Zeigen, wer der Boss ist, seinen Standpunkt festigen. Das versuchen auch die fünf Tänzer und geben damit einen Einblick in die Lebenswelt gerade eben erwachsener Männer. Sie sind stark und kraftvoll, schlagen zu, treten nach. Doch die Gesten, die ihre männliche Stärke festigen sollen, hinterlassen den Eindruck von Zerbrechlichkeit und Verzweiflung. Die jungen Männer geben alles und merken, dass es nicht reicht. Aus der Verzweiflung wird Orientierungslosigkeit. Die Männer scheinen, vor Angst zu beben. Sie finden kein richtiges Ventil, wissen nicht wohin, fangen an sich selbst zu geißeln. Dabei setzt das Stück immer wieder starke Bilder, die das Publikum in ihren Bann ziehen. Youtube-Videos von islamischen Predigern, HipHop und Kriegsemblematik erschaffen eine vermeintliche Ikonografie der Lebenswelt junger muslimischer Männer in Europa.
An dieser Stelle kann gefragt werden, ob hier nicht verallgemeinert oder schwarz-weiß gemalt wird. Besonders, wenn dann die, oft von politisch fragwürdigen Religionskritikern herbeizitierten „Burkafrauen“ ihren bedrohlichen Auftritt haben. Wie schwarze Türme kommen sie dem Publikum aus dichtem Nebel näher und durch das dabei entstehende bedrohliche Gefühl wird einmal mehr so etwas wie die kulturelle Andersartigkeit des Islams in den Mittelpunkt gerückt. Dass man als Zuschauer dabei zunächst zusammenzuckt, ist kein Wunder, ist dieses Thema doch eines, das seit über einem Jahr die Presse und die öffentliche Meinung in Atem hält. Ständig wird gefragt, ob der Islam zu Deutschland gehört und welchen Platz er in der kulturellen Ordnung von westeuropäischen Ländern hat. „Basmala“ schlägt in genau diese Kerbe und tut, was im Dienste einer erhofften Öffnung der „westlichen Kultur“ gegenüber dem Islam (verständlicherweise) oft unterlassen wird.
Dabei verlangt das Stück vom Zuschauer eine Differenzierung zwischen Islam und Islamismus, denn letzteres ist es, dem die jungen Männer in diesem Stück in ihrer Suche nach Stärke und Souveränität verfallen. Sie fallen damit einer rigiden männlich-dominierten Disziplinargesellschaft anheim, die mit dem eigentlichen Islam, der auch als Weg zum Frieden bezeichnet wird, nichts gemeinsam hat. Es ist diese Gefahr einer Verwechslung des Islams, die das Stück gekonnt in der Hinterhand bereithält. Dabei geht es nicht nur um eine Verwechslung des Islams mit Islamismus durch Menschen die sich als außerhalb des Islams stehend begreifen, sondern auch um die Gefahr dieser Verwechslung durch Moslems selber.
Gerade die Anknüpfung an aktuelle Diskurse, die durch allerhand politische Instrumentalisierung belastet sind, macht den Reiz dieses Stückes aus, das zugleich brisant aber auch intelligent auf Konfrontationskurs mit der Lebenswelt der Personengruppe geht, die zur Zeit im Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit steht, wie keine andere.