Über „LEVIAH“ von Reut Shemesh

Wann: 23.11.
Wo: tanzhaus nrw

Nähe und Verletzung von Ina Holev

Zwei Tänzerinnen rücken immer weiter zusammen, umarmen sich. Ein Moment inniger Verbindung. Bis sie Schläge andeuten, sich stoßen und tänzerisch Waffen darstellen. Es ist ein plötzlicher Sprung, von zwischenmenschlicher Nähe zu verletzenden Momenten. Dabei wird klar: Das zeitgenössische Tanzstück „Leviah“ der in Köln ansässigen aus Israel stammenden Choreografin und Tänzerin Reut Shemesh ist keine leichte Kost. Sie übersetzt darin ihre Erfahrungen im für alle Geschlechter verpflichtenden, israelischen Militärdienst in starke, manchmal erschreckende Bilder. 2015 wurde „Leviah“ in Köln uraufgeführt und am 23. November 2017 endlich und genauso aktuell (Stichwort #metoo-Debatte) wie vor zwei Jahren auf der kleinen Bühne des Tanzhaus NRW zu sehen. Das Stück ist jedoch nicht als Positionierung zum Nahostkonflikt zu verstehen, sondern bildet an einem autobiografischen Beispiel (der Choreografin Reut Shemesh, die neben Hella Immler die andere Tänzerin gibt) die Belastungen der Wehrpflicht ab. Insbesondere von Frauen, die in diesem Kontext auch Opfer sexueller Übergriffe sind.
„My very tight uniform has become a symbol of lost dreams and sexual confusion“, ertönt es gleich zu Anfang des Stücks mit einer elektronisch verfremdeten Stimme durch den Lautsprecher. Die autobiografischen Erinnerungsfetzen wirken in diesem kurzen Monolog fast anonym. Die Texte ordnen dabei die Bewegungen auf der Bühne ein und strukturieren die Performance. Sie machen das Geschehen fassbar und ein schwieriges Thema für die Zuschauer*innen zugänglicher, stören aber auch teilweise den Fluss der Choreografie und eine erweiterte Interpretationsmöglichkeit. Die Tänzerinnen Reut Shemesh und Hella Immler stehen auf der Bühne, in stilisierten Uniformen, khakifarbenes Hemd, kurzer Rock. Ihre Bewegungen sind synchron und sie erscheinen wie Puppen, denn trotz des Geschehens auf der Bühne wirken sie seltsam unlebendig. Es sind aggressive Posen, die fast an Modelshootings erinnern – nur gepaart mit einer unheimlichen Aggressivität. Diese zeigt sich auch bei jedem Mal, wenn sich die Performerinnen näher kommen. Man spürt das Aufeinanderprallen von Fleisch, den Fall zum Boden fast. Innere Kämpfe werden nach außen getragen. Einige Szenen verwirren auch, so etwa die Sequenz eines Lichtflackerns und lauter Musik. Dies scheint fast die bisherige Abfolge durcheinanderzubringen und sorgt für bewusst gesetzte Störmomente.
Dabei spiegeln sich die Momente der Erzählung in den Bewegungen und Akten auf der Bühne. In einem der Monologe ist von einem starken Uringeruch die Rede, im Verlaufe des Stückes dann uriniert eine der Performerinnen. Der Resturin, er ist echt, wird mit der Uniform abgewischt und letztendlich so wieder zurück zum Körper gebracht Ein Sinnbild für die Erfahrungen in der Armee? Einige choreografische Elemente (das Urinieren, das in-den-Mund-Stecken der Faust, das flackernde Licht, Drehungen) erinnern an das Stück „21 Pornographies“ von Mette Ingvartsen, welches in der Woche zuvor im Choreografischen Zentrum PACT in Essen zu sehen war. Diese Performance setzte sich vor allem mit von Gewalt geprägten, pornografischen Darstellungen auseinander sowie der Pornografisierung von Gewalt. Auch in „Leviah“ stellt sich durch eine Auseinandersetzung mit traumatisierenden Erfahrungen in der Armee die Frage nach sexualisierter Gewalt. Es ist wohl kein Zufall, dass hier choreografische Elemente, welche mit der Grenzüberschreitung von der Intimität des (traumatisierten) Körpers bis zur Demütigung, eine Möglichkeit bieten, diese so extremen Momente zu verhandeln.
„Leviah“ tut dies in Verbindung mit den Textsequenzen auf eine direkte, anspruchsvolle und choreografisch interessante Weise, die von Annäherung und Gewalt geprägt ist.

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