Wann: 12.01. + 13.01
Wo: tanzhaus nrw
Festivaleröffnung von Temps d’Images
Von der Empfindsamkeit des Schauens von Sabina Kindlieb
Die Besucher*innen des Tanzhaus NRW begeben sich anlässlich der Eröffnung des Festivals Temps d’Images, das sich aktuellen künstlerischen Positionen zwischen Digitalität und Tanz widmet, in den großen Saal. Was sie dort antreffen, wirft Fragen auf, macht neugierig. Wie ein Würfel, mitten im Raum abgelegt, befindet sich eine 360°-Projektion. Das Publikum findet seine Plätze um jeweils drei der vier aufgestellten Leinwände herum. Manch einer denkt sich womöglich: „Von welchem Platz, aus welcher Richtung habe ich wohl den besten Blick auf die Performance?“ Geht das hier überhaupt? Manch andere entscheiden sich für ein Kissen auf dem Boden, die darauf hinweisen, dass der Raum in seiner vollen Platzkapazität aufgrund der Publikumsnachfrage voll ausgenutzt werden muss.
Die Aufführung unter dem Titel „Hakanaї“ von den französischen Künstler*innen Claire Bardainne und Adrien Mondot beginnt und eine Tänzerin, die einzige an diesem Abend, wird in dem erwähnten Bühnensetting langsam sichtbar. Die Video-Projektionen lassen sie wie eingesperrt in einem Käfig erscheinen, doch sobald sich die Tänzerin zu bewegen beginnt, tut es der sie umgebende Raum vermeintlich mit ihr. Tanz, Bild und Ton interagieren und mit jedem neuen Impuls durch Tanz und Sound wird der Raum optisch belebt und aufgelockert. Die Projektion beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Mitte des Raumes – nein, wenn man sich umguckt, sieht man, dass sich die projizierten Bilder ebenso auf dem Boden und den Körpern der Zuschauer*innen zeigen. Die Art und Weise, wie sich die Komposition nicht auf Körper und Raum beschränkt, stattdessen sich ausdehnt und alle Konzepte von Stabilität durcheinanderwirbelt, bildlich zusammenbrechen lässt, macht das Ausmaß und den Ausdruck von Tanz und Akustik spürbar. Deutlich wird, wie jeder einzelne der Zuschauer*innen von der Komposition bewegt ist. Beim Tanz entsteht immer eine Dynamik, ob sich das darin zeigen mag, dass man beispielsweise das Verlangen hat mitzutanzen oder dass man sich gar dabei entspannt. Musik und Bewegung sind hier stets am eigenen Leib förmlich fühlbar, doch genau diese Dimension bleibt so oft unbeachtet, wenn diese – wie meist üblich – distanziert und erhoben auf einer Bühne stattfindet.
Hier heben die Künstler*innen die übliche Trennung mithilfe von Visualität und Digitalität auf und rücken näher an die Zuschauenden heran. Und obwohl Natur und Gefühl für gewöhnlich im Gegensatz zu Technologie und Digitalität stehen, verleiht die Projektion der Performance einen überwältigend naturverbundenen und fragilen Charakter. Ton- und Bildelemente, die zum Beispiel Regen, Donner, Gezwitscher oder einen Herzschlag darstellen, erden das Bühnenstück soweit, dass stets das Gefühl von Nähe bleibt. Inmitten der Performance scheint der tanzende Körper wie im Wasser immer weiter davonzutreiben, als würde er gegen den Strom versuchen anzugehen oder als in die Lüfte entschweben wollen. Diese außergewöhnliche Art der Darstellung zeigt wieder mal, wie der Raum sich verflüssigt und welch ein Potenzial er beinhaltet. Diese plötzlich sichtbar gemachten Dynamiken mögen zunächst verunsichern, wirken letztlich jedoch unglaublich natürlich.
An keinem Punkt erscheint die Installation wie ein Fremdkörper, wie ein technologisches „Gadget“, sondern wird eins mit der überwältigend empfindsamen und fragilen Performance. Und nicht nur das – sie bestärkt sie sogar in diesen Aspekten. Sie lädt sie umso mehr mit Gefühlen auf und spielt mit der widersprüchlichen Grenzenlosigkeit des Raumes. Womit sie verunsichert: Ist es nicht paradox wie eine so hochdigitalisierte Installation so natürlich, so fragil, wirken kann und uns trotzdem dessen oder gerade deswegen eins mit ihr werden lässt? Doch eben diese Verunsicherung, dieses Gefühl von Instabilität und Betroffenheit, zieht die*den Zuschauer*in umso mehr in den Bann der Performance.