Über „I have seen your face on better days“ von Hannah Krebs / Reihe Now & Next

Wann: 02.02. + 03.02.
Wo: tanzhaus nrw


Tanz und Umarmung von Laura Lindemann

Auf der kleinen Bühne im Tanzhaus NRW sind auf einer Leinwand zwei Jungs abgebildet. Computerspielend und Fast Food-essend. Nicht älter als 16. Sie unterhalten sich, scherzen und scheinen gar nicht zu bemerken, dass sie gefilmt werden. Die Performerin Hannah Krebs kommt auf die Bühne und schaltet das Video aus. „Ich möchte euch gerne zeigen, wie ich meinen Bruder umarme“, sagt sie mit klarer Stimme und schaut das Publikum fest an. Ihre Worte schmerzen. Der Titel der Performance „I have seen your face on better days“ lässt darauf schließen, dass etwas nicht stimmt. Dass etwas anders ist, als es sein sollte. Die Performance ist Teil der Reihe Now & Next, choreografiert von der Tänzerin und Choreografin Hannah Krebs, der Künstlerin Pernilla Henrikson und der Tanzwissenschaftlerin Lena Kunz.

Hannah Krebs erzählt die Geschichte ihres Bruders. Sie gibt dem Publikum Einblicke in ihre Welt und lässt es ihren Bruder näher kennen- und fast schon ein bisschen lieben lernen. Sie zeigt, wie die beiden zusammen tanzten. Wie sie miteinander sprachen und welche Eigenarten er hatte. Immer wieder spricht sie das Publikum an. Erklärt und gestikuliert. Ihre Augen strahlen, wenn sie von ihrem Bruder spricht. Wenn sie tanzt, bewegt sich ihr Körper harmonisch und in gleitenden Bewegungen zur Musik, ein friedliches Lächeln ruht auf ihren Lippen. Sie fühlt sich wohl und es scheint, als wäre ihr Bruder ganz nah bei ihr. So nah und doch so weit weg. Auf der Bühne liegt ein brauner Papierberg. Seine dünnen Wände scheinen zerbrechlich, als könnten sie jederzeit in sich zusammenfallen. Drei Performer*innen betreten die Bühne. Während zwei von ihnen sich rhythmisch und leichtfüßig zu einer leise anklingenden Musik bewegen, beginnt der Dritte den starren Papierberg zu untersuchen. „How old is it?“ ruft einer der Tänzer. „Oh, I think it is three years old.“ antwortet der Untersuchende. „Which paper? What color? Is it fragile?“ Die Fragen werden immer eindringlicher und überschlagen sich fast. Der Berg steht regungslos da. Eine bloße Hülle, aus der das Leben bereits ausgehaucht wurde. All seine Äußerlichkeiten werden untersucht. Nach dem Inneren fragt niemand. Es wirkt wie eine Obduktion. Dann wird der Papierberg weggetragen. Als nur noch ein Zipfel von ihm zu sehen ist, rennt Hannah Krebs auf die Bühne und holt ihn zurück. Zurück auf die Bühne und in ihr Bewusstsein.

„Ich wollte damals gerade anfangen zu lernen, da war es 6.30 Uhr…meine Eltern kamen rein und die kommen sonst nie so früh in mein Zimmer…da dachte ich vielleicht ist mein Kaninchen gestorben…naja, aber das werden wir irgendwie schon begraben können…“ Hannah Krebs spricht aufgeregt und hastig. Das Publikum starrt gebannt auf ihre Lippen. Wie wird ihre Geschichte ausgehen? Viele wünschen sich insgeheim, dass alles gut wird. Dass ihre Vorahnung sie täuscht. „Als meine Eltern mir dann sagten, was wirklich los war, habe ich geschrien und geweint. Aber nichts gespürt.“ Denn manchmal fühlt man erst später. Wenn man bereit ist, dem Schmerz einen Platz zu geben. Ihn aufzunehmen und mit ihm zu kommunizieren. Hannah Krebs tut das auf eine tänzerische und spielerische Art und Weise, so dass das Publikum die Aufführung mit einem guten Gefühl verlässt. Die Bühne scheint voller Liebe. Voller Liebe von Hannah Krebs zu ihrem verstorbenen Bruder. Und voller Liebe zum Leben.

Dieser Beitrag wurde unter Düsseldorf, Performance, Reihe Now & Next abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Über „I have seen your face on better days“ von Hannah Krebs / Reihe Now & Next

  1. Pingback: Hannah • Krebs

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s