Über „February2018/\“ von Sarah Michelson

Wann: 22.02. + 23.02.
Wo: tanzhaus nrw

Grafik: Sarah Michelson

Verweigerung einer Künstlerin gegen Kapitalismus und die bürgerliche Bühne von Laura Lindemann

Sowohl die Bühne als auch die Zuschauer*innenplätze sind hell erleuchtet. Das werden sie auch die gesamte Show über bleiben. Auch die Türen stehen sperrangelweit offen, so dass der Charakter einer typischen Abendvorstellung im Tanzhaus NRW gar nicht erst entstehen kann. Die Kulisse erinnert an eine andere Welt, fernab von Menschlichkeit und Gefühlen. Vorherrschend sind hier Maschinen. Kleine Spielzeugautos drehen im Rückwärtsgang panisch ihre Kreise. Die surrenden Motoren sind im Publikum gut zu hören. In jeder Ecke der Bühne spielt sich eine eigene Geschichte ab, die jedoch am Ende das „Große Ganze“ bildet. Eine technologisierte und schnelllebige Wirklichkeit. In einer Ecke blinken bunte Lichter unruhig hin und her. In der nächsten laufen an eine Wand projizierte Strichmännchen ziellos ihre Bahnen. Und dann ist da noch der Schatten eines Mannes, der hektisch Klimmzüge zu machen scheint. Das passiert alles unter dem zur Szenerie konträr wirkenden Lied „Oh, let the sunshine.“ Wir befinden uns szenisch im New York der 1970er Jahre. Gespanntes Warten macht sich im Publikum breit und wird schließlich von einer adretten, jungen Frau unterbrochen, die am Bühnenrand steht und immer wieder spitze Schreie ausstößt.
Schließlich kommt die Künstlerin Sarah Michelson selbst auf die Bühne, beginnt in ein Mikro zu singen. Der Sound des Mikros verzerrt den Klang ihrer Stimme. Elektronisch und maschinell. Zur Verwunderung des Publikums bleibt sie nur vorne am Bühnenrand stehen, nutzt diese also kaum. Doch ihre tiefe, durchdringende Stimme erfüllt den Raum. Einmal geht sie in Interaktion mit der jungen Frau, die ihr immer wieder zuzuspielen scheint. Ein anderes Mal windet sie sich auf dem Boden hin und her. Doch immer findet sie zum Mikro zurück, klammert sich fest, als wäre es ihr Anker, der ihr einen sicheren Halt gibt, in der trostlosen, hektischen Welt. Aber auch ihr Kommunikator, um gegen die Zunahme der kapitalistischen Bürgerlichkeit zu protestieren. Sie singt immer weiter, immer bestimmter. Mit nervtötenden Gegenständen wie einer Trillerpfeife oder eines grunzenden Plastikschweins demonstriert sie ihre Ablehnung gegenüber der Industrialisierung und der daraus folgenden Naturentfremdung. Dabei lässt sie sich in ihrem Gesang von nichts und niemandem beirren, so dass sich in ihrer Performance ein harmonisch klingender Rhythmus bildet, der einen Gegenpol zur unruhigen Szenerie darstellt. Immer wieder lässt die Künstlerin in ihrer eigenwilligen Performance ihre Verbundenheit zu der Millionenmetropole New York durchklingen. Sie scheint fasziniert und gleichzeitig voller Verachtung gegenüber dieser Stadt zu sein.
Zum Ende hin bewegt sich Sarah Michelson durch den Raum und dreht überall kleine Roboter auf, die nun wirr auf der Bühne umhertanzen. Anschließend setzt sie sich eine Tiermaske auf und stellt sich dem Publikum zuwinkend an den Bühnenrand. Es wirkt wie ein Abschied. Abschied vom Publikum, Abschied von der Bühne, Abschied von der bürgerlichen Bühne? Durch die Tiermaske verabschiedet auch sie sich für den Moment von ihrer Nahbarkeit. Auf der Bühne herrscht Stille. Herrscht eine Traurigkeit. Nur das Surren der Motoren und das Klacken der Roboter ist zu hören. Kein Applaus. Langsam verlassen die Zuschauer*innen den Saal. Die Performance wirft Fragen und innere Verwirrungen, Rätsel auf. Was wollte die Künstlerin uns mitteilen? Echte Verweigerung? Provokation? Oder performte sie schlicht und einfach aus einer Laune heraus? Was es auch sein mag, eines hat sie auf jeden Fall geschafft. Sie hat ein Gefühl ausgelöst. Niemand geht heute ohne eine persönliche Empfindung nach Hause.

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