Über „Dance & Resistance, Endangered Human Movements Vol. 2“ von nadaproductions / Amanda Piña

Wann: 03.02. + 04.02.
Wo: tanzhaus nrw
Im Rahmen der Reihe CEREMONY NOW!

Über die Kraft des Rituals von Kai Kopel

Die Zuschauer*innen haben gerade erst den Saal betreten, da hat das Ritual bereits begonnen. Vier Tänzerinnen schreiten zu den gleichmäßigen Klängen eines Xylofons sachte im Kreis. Das kleine Publikum nimmt um sie herum auf kreisförmig angeordneten Stühlen und Sitzkissen Platz und befindet sich schon in mitten in der Performance. „Dance & Resistance Endangered Human Movements Vol. 2“ stammt von der Choreografin Amanda Piña, die am 3. und 4. Februar im Tanzhaus NRW zu sehen war. Piña beschäftigt sich in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kooperationspartnern (zusammengefasst unter dem Label nadaproductions) in dem mehrteilig angelegten Projekt „Dance and Resistance“ mit der Rekonstruktion und Neuinterpretation von rituellen Tänzen von Naturvölkern. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Energie, die den überlieferten, zeitweise verbotenen einheimischen Tänzen innewohnt, wieder spürbar werden zu lassen und dadurch Kräfte zu wecken, die es den Naturvölkern ermöglichen, Widerstand gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes zu leisten. Eben diese tänzerischen Kräfte versuchen die vier Tänzerinnen in der gut 70-minutigen Performance gemeinsam mit dem Publikum spürbar zu machen.

Auf die großen weißen Vorhänge, die die Tanzfläche mitsamt der um sie herumsitzenden Zuschauer*innen würfelförmig einrahmen, werden die Firmenlogos bekannter Global Player wie Nestle, Shell oder BP projiziert – eine Arbeit des Künstlers Daniel Zimmermann, die offenbar die Bedrohung der Lebenswelt von Naturvölkern durch kapitalistische Großkonzerne symbolisieren soll, und zugleich ein abwechslungsreiches Bühnenbild liefert. Die Performerinnen, darunter auch Amanda Pina selbst, halten raschelnde, fransige Streifen aus Papier in den Händen, seufzen dabei zuweilen etwas verträumt und tappen zum Klang des Xylofons mit sanften Schritten im Kreis. Die Papierstreifen sind nur einer von mehreren Kultgegenständen, wie Rasseln, Scheiben oder Kränzen, die im Laufe des Rituals zum Einsatz kommen. Aber wofür stehen all diese Objekte? Ganz zu schweigen von den mysteriösen kleinen Gesten, den anmutig bittenden Handbewegungen, der Konzentration und feierlichen Sorgfalt in jeder Bewegung?
Amanda Piña bedient sich in ihrer Performance bei dem Bewegungsrepertoire verschiedener Völker, wozu sie im Rahmen ihres Projektes mit verschiedenen einheimischen Tänzer*innen aus allen Erdteilen zusammengearbeitet hat. Zu keinem Zeitpunkt jedoch erweckt das Stück den Eindruck, als handele sich es um eine exotisch-folkloristische Tanzaufführung mit der Absicht, dem Publikum irgendeine bestimmte Kultur mit ihren Tanzbräuchen näherzubringen.
„Dance & Resistance“ steht dadrüber geschrieben. Es konfrontiert die Zuschauer*innen mit dem kultischen Mysterium an sich, von dem eine unsichtbare Macht ausgeht, die sich in dieser Performance atmosphärisch im ganzen Raum ausbreitet, und die Nerven elektrisiert. Die Lichter gehen plötzlich aus und man hört Menschen durch den Raum huschen. In anderen Momenten erheben sich einige Zuschauer*innen aus ihren Sitzkissen oder von den Stühlen und werden selbst Teil der Performance. Gemeinsam mit den vier Tänzerinnen gehen sie zum Klang des Xylofons einen Fuß vor den anderen im Kreis hintereinander her, halten funkelnde Schalen und Schmuck hoch und wechseln im Takt die Richtung. Bei diesen Menschen handelt es sich um 13 Düsseldorfer Bürger*innen unterschiedlichen Alters, die zuvor an einem viertägigen Workshop teilgenommen haben, bei dem sie verschiedene Tänze sowie deren Geschichte kennenlernen durften. Anschließend steuerten sie durch ihre Anwesenheit während der Performance ihren Beitrag zum Gelingen von „Dance & Resistance“ bei.
Die charakteristische Musik zu diesem aus vielen Ritualen bestehenden Stück liefern eine Perkussionistin mit Trommeln, Xylofon und Triangeln sowie ein Tontechniker an einem Mischpult, der das einprägsame Getrommel immer wieder mit sphärischer, elektronischer Musik verbindet, und dabei zusammen mit seiner Kollegin einen Sound erzeugt, bei dem rhythmische Trommelklänge später fast nahtlos in Techno-Bässe übergehen. Eine passende Wahl, denn die Performance nimmt zunehmend an Fahrt auf: Die Tänzerinnen beginnen mit Rasseln in den Händen blitzschnell auf die Mitte des Kreises zuzutrippeln und werden scheinbar wieder davon abgestoßen, als befände sich dort das Zentrum eines Kraftfeldes. Ihre Schritte und Bewegungen werden schneller, wilder. Zum berauschenden Klang von Trommeln, Rasseln und Bass fangen die Vier an zu stampfen und immer wieder in die Luft zu springen. Kinder aus dem Publikum schließen sich ihnen an. Eine ungeheure, schier übernatürliche Energie hat die Körper der Tanzenden ergriffen. Da ist die Energie, die Amanda Pina freisetzen wollte! Sie entlädt sich im lauten, intensiven und wunderbarem Höhepunkt dieses in der Gegenwart angekommenen Rituals.
Doch mit einem Mal bricht der Tanz ab, der Raum leuchtet rot und die Musik lässt ein schweres tiefes Wummern zurück. Zum Schluss erhebt sich eine sich unheimlich kreatürlich gebärdende Tänzerin – mit allerhand Zacken geschmückt und bekrönt – langsam vom Boden und alle Mitwirkenden schauen zu ihr auf. Mit diesem machtvollen Bild ist der tänzerische Ritus vollzogen. Er hat seine überwältigende Wirkung gewiss nicht verfehlt.

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