Über „How do you fear?” von der fabien prioville dance company

Wann: 08.11. + 10.11. + 11.11.
Wo: tanzhaus nrw / Im Rahmen von Next Level

Foto: Mischa Lorenz

#1 Ästhetische Annäherung an das Phänomen Angst von Bastian Schramm
#1 Die Furcht des Menschen. Tief verankert und doch hart an der Oberfläche von Laura Pais

Ästhetische Annäherung an das Phänomen Angst von Bastian Schramm

Ein Kreischen durchschneidet die Dunkelheit, das Publikum zuckt zusammen. Köpfe drehen sich, sind versucht in der Schwärze die Ursache der markerschütternden Schreie auszumachen, die sich inzwischen mit monströsem Gegurgel mischen. Der Autor dieser Zeilen hat Schweißtropfen auf der Stirn, unterdrückt den Reflex, den Ausgang in den Blick zu nehmen. Angst. Dieses Gefühl, das viel mehr zu sein scheint als bloß ein solches, thematisiert der Choreograf Fabien Prioville in dem für die Tänzerin Gesa Piper inszenierten Solo „How do you fear?“. Dabei wird die Angst auf kraftvolle Weise bebildert, Gesa Piper windet sich am Boden, tastet sich in scheinbarer Panik über die Bühne und flüchtet vor einem Feuer, das im Off-Raum der Bühne auszubrechen scheint. Den ästhetischen roten Faden durch die Performance bildet dabei sogenanntes „Live-Projection-Mapping“, das es erlaubt, auf jeder Fläche im Bühnenraum projizierte Bilder ‚landen‘ zu lassen. Prioville setzt diese Technik ein, um das bildhaft Überfordernde, das Irrationale und Unausweichliche der Angst zu bebildern. So wird die Tänzerin wie ein negativer Scherenschnitt angeleuchtet, vor dem Publikum bloßgestellt und die Angst als absolut und unausweichlich, wie an der eigenen Haut klebend, erlebbar. Die Effekte, die dadurch geschaffen werden, schleichen sich subtil an und stellen sich an keiner Stelle in den Vordergrund, sie durchkriechen die Performance, um plötzlich offenbar zu werden. So züngeln in einem Moment der Erleichterung plötzlich Flammen aus dem Hintergrund der Szene und lassen die Affekte überhand nehmen. Das Stück versucht sich dabei am Spagat zwischen ästhetischer Annäherung an ein Phänomen, das sich eigentlich eher als Angriff auf alle Wahrnehmung darstellt und der gleichzeitigen theoretischen Rahmung mit Hilfe von aus dem Off eingesprochenen Texten, unter anderem von Hito Steyerl. Dabei wird – gewollt oder ungewollt – die Diskrepanz zwischen der ganz realen Angst und ihrer sprachlichen Darstellbarkeit deutlich. Wo Sprache ist, ist auch Erklärung, Maß und das Bewusstsein in der Welt zu sein, die Angst erscheint dagegen als der Verlust aller Form und jeglichen Bezugs – als das nichtendende Nichts. Jede Beschäftigung mit der Angst ist damit schon ein Aufbegehren gegen sie. So wird auch „How do you fear?“ zu einem Aufbegehren gegen die Angst. In einem Akt des Widerstandes wird Gesa Piper zur Boxkämpferin, die die Stricke, in denen sie sich zu verheddern scheint, zu Handschuhen umfunktioniert und so in einem Akt der Ermächtigung gegen die Angst einsetzt. Das Stück thematisiert Angst somit als zutiefst menschliches Gefühl, versucht sich daran, sie ästhetisch zu denken und in der Folge als kreativen Impuls nutzbar zu machen. Die theoretische Rahmung gerät dabei etwas sperrig und überlagert stellenweise die Feinheiten der choreografierten Bewegung und der ihr innewohnenden Ambivalenz, in dem sie durch Sprache festschreibt. Nichtsdestotrotz bleibt „How do you fear?“ auf der inhaltlichen Ebene ein wichtiges Stück, das Angst weder verharmlost, noch affirmiert, trotzdem jedoch aufzeigt, das die persönliche Opposition gegen die Angst möglich ist und durch ihre Umwertung ermächtigenden Charakter haben kann. Eine solche Beschäftigung mit der Angst ist besonders in Zeiten, in denen durch das populistische Schüren von Ängsten Plätze in Parlamenten und ganze Wahlen gewonnen werden, von großer gesellschaftlicher Relevanz.

Die Furcht des Menschen. Tief verankert und doch hart an der Oberfläche von Laura Pais

Die Auswirkungen und Folgen von Angst, die ein Mensch in seinem Leben durchlebt, hinterlassen Spuren und beeinflussen uns in unserem Handeln und Denken. Dies zeigt Tänzerin Gesa Piper in ihrem Tanzsolo in Form von körperlich und sprachlich hochexpressivem Ausdruck in der Uraufführung „How do you fear?“ des Choreografen Fabien Prioville im Tanzhaus NRW.
Das Stück beginnt mit leidklingenden Schreien auf der abgedunkelten Bühne. Daraufhin erscheint Gesa Piper und beginnt mit ihrem ersten Monolog, in dem sie darüber erzählt, wie sich das Gefühl von Furcht auf den Körper und die körperlichen Organe auswirkt und wie sich dadurch das Wohlbefinden des Menschen drastisch verändert. Daraufhin macht sie dies physisch deutlich, indem sie mit schwerem Atem ängstlich und unkontrolliert durch den Raum huscht. Diese Szene wiederholt sich in dem Stück immer wieder neben weiteren Monologen, indem sie wiederholt über die Gefühle und typischen Verhaltensmuster eines Menschen spricht, wenn er sich in Angstzuständen befindet.
Deutlich zu erkennen ist die kämpferische Haltung in Pipers Tanzstil, der nah am Tanztheater ist. Sie demonstriert einen Widerstand gegenüber ihrer Außenwelt bis zur körperlichen Erschöpfung – z.B. als Boxerin. Interessant ist auch die Szene, in der sie sich schnell und hektisch lange Bänder um ihre Handgelenke wickelt. Dies erinnert an Einengung oder an das Bandagieren einer Kriegsverletzung, aber auch an Suizid.
Das Stück bringt all das mit, was man sich unter dem Titel vorstellen kann. Es enthält viele verschiedene Szenen, die sehr deutlich den Zustand von Angst wiederspiegeln. Kritisch betrachtet nimmt allerdings genau das den Zuschauer*innen die Möglichkeit der eigenen Interpretationsanalyse. Trotz der gelungenen Inszenierung und vor allem überzeugenden Darstellung von Gesa Piper, ist es schwierig, eine emotionale Bindung zum Inhalt des Stücks zu finden.

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