Über „Al baile“ von Juan Carlos Lérida

Wann: 13.04.
Wo: tanzhaus nrw // Dt. Erstaufführung
Im Rahmen des Flamenco Festivals

„Reduziert, isoliert, seziert: Die Ingredienzen des Flamenco“ von Meike Lerner und Sandra Köthemann

Al toque, al cante, al baile – die Gitarre, der Gesang, der Tanz: Juan Carlos Lérida hat sich daran gemacht, die drei Wahrzeichen des Flamenco in seiner Trilogie unter die Lupe zu nehmen. Im Rahmen des diesjährigen Flamenco Festivals feierte der dritte Teil, „Al baile“, im Tanzhaus NRW Deutschlandpremiere. Darin sezieren er und seine zwei Mittänzer, David Climent und Gilles Viandier, den typischen Bewegungskanon: Sie isolieren klassische Stilmittel, verfremden Kontext, Bezug und Rollen und schaffen so heitere bis clowneske Bilder, die dem stolzen Ernst des Flamenco diametral entgegenstehen.
Auch im 21. Jahrhundert ist der Flamenco geprägt von tradierten und institutionalisierten Darstellungs- und Bewegungsriten. Die Rhythmus gebende Beinarbeit, die leidenschaftliche Gestik, die stolze Mimik und die grazilen Armbewegungen: Sie alle folgen einem altem, gelernten figurativem Konzept der Körperlichkeit, des Rollenverständnisses und des Lebensgefühls. Im Vordergrund steht der Flamenco, nicht der Tanz. Das Einstudieren und Perfektionieren von Posen und Figuren, nicht die Kreativität und Improvisation. Für Künstler wie Juan Carlos Lérida scheint diese Tradition zum Korsett geworden zu sein, von dem es sich zu befreien gilt.
Ähnlich wie im klassischen Ballett bestimmt im Flamenco nicht der Körper die Bewegung, sondern die Bewegung bestimmt, wie der Körper zu sein und zu funktionieren hat. „In der Ausbildung lehren sie zu tanzen und bestimmen, wie dein Körper geformt sein muss. Eine Narbe, die ich von der Flamenco-Ausbildung davon getragen habe, ist beispielsweise die, zu tanzen wie ein Mann“, erklärte Juan Carlos Lérida während des Publikumsgesprächs im Anschluss an das Stück.
Offenkundig eine Narbe, die nicht recht verheilen wollte. Denn genau diese Männlichkeit nehmen die drei Tänzer gehörig auf die Schüppe, indem sie die stolzen Posen aus dem Flamenco-Zusammenhang reißen, sie als einzelne Figuren aufgreifen, überspitzen und damit der Lächerlichkeit Preis geben. So stolzieren sie, gekleidet in leuchtendes Pink, teils wie balzende Gockel – untermalt von Hühnergeschnatter – umeinander und gegeneinander und posen, was das Zeug hält. Das mag albern wirken, wären da nicht die Präzision und das Talent der Tänzer, die einen daran erinnern, dass nur diejenigen eine gelungene Übertreibung durch Reduktion erreichen, die ihre Kunst perfekt beherrschen.
Wobei das in diesem Fall tatsächlich nur auf Juan Carlos Lérida zutrifft, denn sowohl David Climent als auch Gilles Viandier sind keine ausgebildeten Flamenco-, sondern zeitgenössische Tänzer. Und damit bringen sie für Lérida genau die Impulse in das Stück ein, die er im Flamenco schmerzlich vermisst, nämlich Spiel und Spontanität in der Bewegung. Letztlich stellt sich schließlich Frage, was den Flamenco ausmacht: Die bloße Geste oder eben das Spiel mit der Geste, der Haltung und der Bewegungen. Welche Möglichkeiten das Spiel und die Spontanität für den Tanz eröffnen, zeigen die Tänzer, indem sie prägnante Bewegungen diverser Sportarten – zum Beispiel den Ballschuss beim Fußball – in ihre Choreografie einfließen lassen und damit beweisen, dass die Geste an sich noch kein Tanz, der Tanz aber das Spiel mit den Gesten ist. Und mit der Musik. Lérida „leiht“ sich für sein Stück temporär Klassiker diverser Epochen, um zu schauen, wie der Flamenco-Körper auf den Stilbruch zu „Schwanensee“, „Le Sacre du Printemps“ oder „Staying alive“ reagiert und wie die Musik hilft, das enge Flamenco-Korsett abzulegen.
Damit ist das Sezieren des Körpers im Flamenco aber noch lange nicht abgehandelt. Zum Ende lassen die Tänzer die an Fleischfarben erinnernden, pinken Anzüge fallen und streifen damit auch die Flamenco-Hüllen ab: Sie betasten sich, beurteilen, bewerten ihre Körper und Bewegungen, zupfen an überflüssigen Pfunden und klopfen sich stolz auf das Sixpack. Sie verschmelzen miteinander und mit der einzigen Bühnenrequisite, den wie Tierkadavern an Haken aufgehängten Papierstreifen, die wie eine zweite Haut oder das Muster eines Maßanzugs übergestülpt werden. Ob daraus neue Gewänder werden und wenn ja, welche Konzepte daraus entstehen, bleibt offen.

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