Über „Rain“ von Anne Teresa De Keersmaeker

Wann: 02.12. + 03.12.
Wo: tanzhaus nrw

„Wie beflügelt“ von Pia Bendfeld

Mit „Rain“ bringt Anne Teresa De Keersmaeker, fünfzehn Jahre nach der Uraufführung 2001, am vergangenen Wochenende ihr wohl bekanntestes und energischstes Stück nach Düsseldorf, auf die Bühne des Tanzhaus NRW.

Ein schimmernder Kordelvorhang hängt an einer kreisförmigen, goldenen Halterung von der Decke und trennt den Raum in einen offenen Zirkel, in dem sich die folgenden 70 Minuten ein brillant konstruiertes Zusammenspiel von Tanz, Musik und Farben ereignen wird. Anne Teresa De Keersmaeker, die bekanntlich die Grenzen zwischen ihren Choreografien mit anderen Kunstformen, vorwiegend lyrischen Texten, austestet und verschmelzen lässt, widmet sich in „Rain“ den minimalistischen Klängen des amerikanischen Komponisten Steve Reich.

Die Rhythmik der Melodien von „Music for Eighteen Musicians“ untermalt die Dynamik und den Fluss der Bewegungen und unterstützt deren schwingenden Ablauf. Wie eine Welle tragen die mal sanften, mal raschen Töne die zehn Tänzer, welche sich gewissermaßen von deren Energie treiben lassen. Unaufhaltsam bleibt das Stück in Bewegung. Die jungen Männer und Frauen laufen im Kreis, springen, rollen auf dem Boden, drehen sich, heben einander in die Luft, fließen in Gruppen zusammen, nur um sich wieder aufzulösen. Zeitweise entschleunigen Einzelne zwar ihr Tempo oder verweilen für einen Augenblick auf den am Rand platzierten, transparenten Stühlen, doch der Rest rennt stets weiter. Es ist erstaunlich, wie individuell und wenig synchron die Bewegungen im Gesamten ablaufen, während sie zugleich wie eine zusammenhängende Kraft auf den Zuschauer wirken. Wie zufällige Begegnungen inszeniert streifen sich manchmal die Körper, Blicke treffen sich und die Tänzer teilen einen kurzen Moment miteinander, indem sie sich ein flüchtiges Lächeln schenken, ineinander drehen, um sich wieder zu trennen und in die asymmetrische Gruppendynamik zurückzulaufen. Sie tauchen beiläufig auf und verschwimmen wieder in einem stetigen Strom, wie Ebbe und Flut. Die Personenkonstellation der verschiedenen Duette und Auftritte ist im ständigen Wechsel und genauso unvorhersehbar wie der Ablauf selbst.

De Keersmaeker präsentiert eine komplexe, kaum zu entschlüsselnde Choreografie, die vor Lebhaftigkeit pulsiert und ihren Zuschauer unweigerlich in den Bann zieht. Scheinbar mühelos und wie beflügelt schwingen die Tänzer über die Bühne. Dabei flattern die sanften Stoffe der puderfarbenen Kleider, welche von keinem geringeren als dem belgischen Designer Dries van Noten, bekannt für seine märchenhaften Entwürfe, gefertigt wurden, durch die Luft und versprühen mit ihrer elfenhaften Eleganz ein Gefühl von Leichtigkeit, Freiheit und Lebensfreude. Als sich das warme, goldene Licht in rosane Bonbon-Töne wandelt und sich auch die Farbigkeit der Kostüme angleicht, wechselt die Atmosphäre. Der Raum ist in ein zartes Pastellpink getaucht und auch die Musik verändert ihren Klang, wird rasanter, vibrierender. „Rain“ ist von einer ergreifenden Anmut und Dynamik, der sich das Publikum nicht entziehen kann und möchte. Es atmet den Zuschauer ein, zieht ihn in den magischen Sog seiner Ästhetik und beschwingenden Energie. Obwohl sich der Titel wohl an Kirsty Gunns Roman „Rain“ anlehnt, der das Ertrinken eines Kindes beschreibt, verkörpert das Stück keinesfalls die Tragik einer solchen Thematik. Keine Spur von Schwermut liegt in dem bunten, energiegeladenen und lebhaften Tanz. Es ist kein trister Herbststurm, sondern vielmehr ein langerwarteter, warmer und wohltuender Sommerregen, ein erfrischender Schauer. Nicht grundlos gilt diese Inszenierung von Anne Teresa De Keersmaeker als eines ihrer Meisterwerke. „Rain“ ist ein unvergleichlich ästhetisches, intensives und überwältigendes Tanzstück, was vor Lebendigkeit selbst zu atmen scheint. Als die Musik abbricht und das Licht erlischt macht sich allgemeine Enttäuschung breit: Es hätte noch ewig weitergehen dürfen.

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