Über das DANCE ON ENSEMBLE

Was: „Catalogue (First Edition)“ von William Forsythe & „7 DIALOGUES“ von Matteo Fargion
Wann: 28.10.
Wo: tanzhaus nrw / im Rahmen der Programmserie Real Bodies

#1 Tanzt weiter! von Jan Wenglarz
#2 Das Auflösen in und von Perspektiven von Katharina Tiemann

Tanzt weiter! von Jan Wenglarz

„Real Bodies“ – das aktuelle Spielzeitmotto des tanzhaus nrw beschäftigt sich mit Fragen von Körperlichkeit und Tanz, der Bedeutung von Schönheitsidealen und bietet der Vielfalt von Körperbildern, wie sie der Diversität unserer Gesellschaft entspricht, eine Bühne. Am 28. Oktober setzte das DANCE ON ENSEMBLE diese Reihe mit gleich zwei verschiedenen Stücken fort.

Das von William Forsythe, einem der aktuell wichtigsten zeitgenössischen Choreografen, für Tänzer des DANCE ON ENSEMBLES entwickelte Duo „Catalogue (First Edition)“ ist das erste Stück des Abends. DANCE ON vereint Tänzerinnen und Tänzer 40 plus, ein Alter, das im Bereich des zumeist klassischen Tanzes meist das Karriereende bedeutet. Dass kein Grund besteht, im fortgeschrittenen Alter das Tanzen aufzugeben, beweist diese Stück eindrucksvoll.

Ohne Musik, ein leerer Bühnenraum, einfach nur nebeneinanderstehend, beginnen Brit Rodemund (alternierend zu Jill Johnson) und Christopher Roman mit kleinen Gesten den eigenen Körper zu vermessen, zu ertasten. Diese Bestandsaufnahme, die fast wie ein Systemcheck der körperlichen Beweglichkeit wirkt, gewinnt zunehmend an Freiheit, Mut und Offenheit. Die anfängliche Selbstbezogenheit löst sich auf und was zunächst durch Blicke geschieht, passiert nun auch physisch: Kontaktaufnahme. Die vielen kleinen, subtilen Bewegungen geschehen mit solcher Präzision und Schnelligkeit, dass dieses Duo wie ein einziger großer Impuls wirkt, der durch die Bewegungen des jeweils anderen Körpers verstärkt und gelenkt werden kann. Schnell wird deutlich, dass die beinah unendlich scheinende, unerschöpfliche Variationsvielfalt nur das Resultat langjähriger (Tanz)Erfahrung sein kann. Ein individuelles Bewegungsinventar, das doch zugleich ein typischer Forsythe ist: mit seiner Konzentration auf die rotierenden Extremitäten, insbesondere des Torsos, deren Choreografie eine derartige Wirkungskraft haben, dass man meint, einem Nachdenken über Bewegungsmechanismen beizuwohnen, das spannender nicht sein könnte. Der zentrale Begriff des Bewegungsinventars des Abends wird auch im zweiten Stück aufgegriffen.

„7 DIALOGUES“ verfolgt einen dramaturgisch anspruchsvollen und höchst spannenden Ansatz. Sieben verschiedene Choreografen inszenieren sechs Tänzer und Tänzerinnen zur Musik von Schuberts Erlkönig und die Resultate werden schließlich von einem Pianisten zu einer Einheit zusammengefügt. Matteo Fargion schafft es durch seine charmante, stille Präsenz am Klavier dem Stück einen Rahmen zu geben, in dem sich die Performer mit allem nötigen Freiraum bewegen können. Alles scheint möglich. Jedoch steht am Ende der sieben Soli die Frage nach dem theoretischen Unterbau im Raum. Was möchte dieses Stück eigentlich zeigen? Die stärksten Momente dieses zweiten Teils sind die von Matteo Fargion eingesungenen Biografie-Schnipsel und Anekdoten, die einige der Soli begleiten. So entsteht immer wieder ein kurzer Einblick in die persönliche Tanz-Vita der Akteure. Allerdings bedingt die Kürze der einzelnen Soli auch die Tatsache, dass solche Eindrücke sehr flüchtig bleiben und kaum unter die Oberfläche gehen. Die Tänzer geben sich auf der Bühne regelrecht die Klinke in die Hand und so stehen gefühlvolle, persönliche gänzlich unvermittelt neben humoristischen und eher konzeptuellen Performances. Tänzerisch bewegt sich der ganze Abend auf einem stets so hohen Niveau, dass es den Zuschauer sofort vergessen lässt, dass es hier um Tanz gehen soll, der eigentlich gar nicht auf körperliche Perfektion abzielt.

Das feinsinnige Körpergespür des ersten Stückes will im zweiten Teil des Abends leider nicht mehr richtig Fuß fassen. Zu konzeptionell und durch die starken Brüche zu entfremdet wirkt das Stück. Letztendlich dominiert hier die Handschrift der jeweiligen Choreografen so stark, dass man sich den überwiegenden Teil der Soli auch mit anderen (und beispielsweise auch wesentlich jüngeren Tänzern) vorstellen könnte, ohne dass es den Gesamteindruck großartig ändern würde. Ein Ensemble, wie das von DANCE ON, welches durch die eigene grundlegende Ausrichtung eigentlich ein anderes Ziel verfolgt und über großartiges tänzerisches Können und ausdrucksstarke Akteure verfügt, traut man wesentlich mehr zu, als an diesem Abend zu sehen war.

Das Auflösen in und von Perspektiven von Katharina Tiemann

Wie definieren wir unseren Körper? Was konstituiert dieses Selbst? Und schließlich: Wie drücke ich mich in und durch diese Körperlichkeit aus? Diesen Fragen und den möglichen Antworten nähert sich das DANCE ON ENSEMBLE in seinen Produktionen „Catalogue (First Edition)“ von William Forsythe und „7 Dialogues“ von Matteo Fargion an. Der erste Abend des Ensembles im Düsseldorfer Tanzhaus NRW besteht aus zwei Stücken. Ein Charakteristikum des neu etablierten internationalen Tänzerensembles ist das Alter: Alle Mitglieder sind 40+. Diese Eigenschaft wird allerdings nicht betont, um das Alter in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr werden die geistigen und körperlichen Veränderungen hervorgehoben. Das Werden im zeitlichen Prozess. Die Perspektiven, die Erfindung und Begegnung mit dem Selbst und dem Körper wird in Relation gesetzt zur Zeit. Mit der Existenz und Entwicklung verwoben ist das Tanzen. Der Tanz ist ihr Ausdrucksmittel nach innen sowie nach außen, seine Bedeutung geht aber noch weit darüber hinaus.

Die Berührung schafft den Beginn und einen Übergang. Sie lässt nicht bloß das Gemurmel in den Stuhlreihen verstummen, sondern auch ein Rauschen, dessen enorme Lautstärke erst mit seinem Verschwinden wahrgenommen wird. Gemeint ist die Berührung der Hände der Tänzer Jill Johnson und Christopher Roman. Die Berührung führt ein in das Stück und dessen Stille. Die Stille herrscht während der gesamten Darstellung vor und ist so beherrschend, dass jedes Schnappen nach Luft und jede noch so leise Regung an Bedeutung erlangt. Dieser Beginn ist kennzeichnend für die Choreografie im Ganzen. Einerseits ist der Zuschauer versunken in der Fokussierung auf die Tänzer und deren Prozess der Erkundung der eigenen Struktur. Andererseits wird er unwillkürlich dazu gedrängt, durch die permanente Stille jeden Laut, jede minimale Ton machende Bewegung des Selbst wahrzunehmen. Jeder in dem Raum wird dazu aufgefordert, sich der bebenden, atmenden, unruhigen und schweigenden Körper bewusst zu werden. Ein Einlassen auf die Substanz der Körperlichkeit, dessen Existenz Zeit unseres Lebens veränderbar bleibt, aber niemals negiert werden kann. Es stellt sich die Frage: Was macht den Raum aus, in dem unsere Bewegungen und unser Selbst zwischen Fremdbestimmung und Autonomie entsteht? Das Wissen über den eigenen Körper. Der Prozess der Aneignung des sogenannten Körperwissens von Jill Johnson und Christopher Roman ist zentral in „Catalogue (First Edition)“. Die Beziehung der beiden zueinander wird aufgegliedert und in ein Konzept gebracht. Die Tänzer beginnen und enden mit der Erforschung ihres eigenen Körpers. Sie erschließen sich durch das Erleben der Glieder, Muskeln und Formen ihres Körpers in unterschiedlichen tänzerischen Bewegungen ihre eigenen Möglichkeiten. Darüber hinaus erfahren sie sich selbst durch den Anderen und den Raum dazwischen.

Getrennt wird das erste vom zweiten Stück durch eine kurze Umbaupause, in der der Raum geschlossen und das Publikum auf seinen Plätzen bleibt. „7 Dialogues“ besteht aus einem Flügel, einem Pianisten bzw. Sänger und sieben Tänzern. In bibliografischen Einzeldarstellungen erzählen die einzelnen Tänzer Geschichten. Die Grenze verschwimmt zwischen einer Autobiografie und einer Erzählung. Dem Publikum ist nicht klar, wie die Choreografie eines jeden Tänzers zustande kam und womöglich Auskunft über deren Leben gibt. Das führt zu einer ganz besonderen Dynamik. Durch die völlig einzigartigen Fragmente, den persönlichen Umgang mit dem Tanz, wird Aufmerksamkeit erregt und die Spannung aufrechterhalten.
Der beleuchtete, aber ansonsten leere Raum erscheint wie ein Saal im Tanzunterricht. Er erinnert an unzählige Tanzstunden, die ausgefüllt sind von Schülern. Deren Körper, Bewegungen und Charaktere werden zwischen diesen Wänden geformt. Diese Assoziation erscheint nicht zufällig, bedenkt man als Eigenschaft des Ensembles das Alter. Alle Darsteller sind erfahrene Tänzer, die unterschiedlichste Erfahrungen – in und außerhalb der Tanzstunde – gemacht haben. Das Verhältnis zwischen dem Tanzen an sich und der Konvention, dies innerhalb der Tanzstunde erlernen zu müssen, verdeutlicht die Diskrepanz. Ein Spannungsfeld, das bereits im ersten Stück auftaucht. Was führt einen Menschen dazu, zu tanzen, sich zu bewegen und zu entdecken? Diese Frage steht eng in Verbindung mit dem in Frage stellen der Altersgrenze von aktiven Tänzern. DANCE ON widersetzt sich mit der Gründung des Ensembles und der bewussten Erwähnung ihres Alters Konventionen, die sie für überholt und unangemessen halten.

Was verleitet nun ein Ensemble dazu, zwei unterschiedliche Stücke an einem Abend zu präsentieren? Man könnte in die Extremen deuten und behaupten, durch die sehr kurze Umbaupause sei zu wenig Raum, um sich auf etwas vollkommen Neues einlassen zu können. Oder aber sie gebe zu viel Raum, um sich von den Eindrücken der Umgebung beirren lassen zu können und Gefahr zu laufen, der künstlerischen blasenartigen Sphäre durch Smalltalk mit dem Nachbarn zu entweichen. Aber womöglich ist nichts dergleichen ausschlaggebend. Denn durch das Konzept, zwei Darstellungen in einem zusammenzufügen, wird die Bedeutung von Perspektiven erst deutlich. Der Titel „7 Dialogues“ beinhaltet das Bestreben, Positionen darzustellen und diese darüber hinaus zu verknüpfen. „Catalogue (First Edition)“ widmet sich der tänzerischen Entwicklung anhand einer Beziehung. Beide thematisieren das Werden in der Körperlichkeit, manifestiert in der Ambivalenz des Tanzens. Die Stücke, als Komposition gedacht, stellen das Wesen der Rahmenbedingungen von Diskursen in Frage. Sie machen erkennbar, dass Perspektiven nicht zwangsweise aus den gleichen Kategorien oder Ordnungssystemen entstehen müssen.

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Eine Antwort zu Über das DANCE ON ENSEMBLE

  1. felix.media schreibt:

    Sehr interessantes Ensemble 🙂 und gut geschriebener detaillierter Text. Wir experimentieren auch immer mal wieder gerne in unserer Tanzschule :). Schaut doch mal vorbei, wenn ihr Lust habt: http://www.tanzwerk.dance

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