Über Marcelo Evelin/Demolition Inc. „Suddenly Everywhere is Black with People“ / PROJETO BRASIL

Wann: 11. + 12.06.
Wo: tanzhaus nrw / im Rahmen des Festivals PROJETO BRASIL

Die Angst steht dicht hinter uns von Barbara Franke

Keuchend schlängelt es sich durch den in schwarz gehüllten Raum, windet sich um alles, was einen Körper hat und kommt einigen Zuschauern so nah, dass sie einen Schritt zurückgehen müssen. „Es“ besteht aus fünf Performern, die ineinander verknäult und ganz schwarz angemalt sind. Viel sieht man bei der Dunkelheit nicht, und dennoch wagen sich die Zuschauer in diesen schwarzen Ring, der nur mit Neon-Röhren ausgeleuchtet ist. Ein Risiko, dem Choreograf Marcelo Evelin sich da aussetzt: in seinem neuen Tanzstück „Suddenly Everywhere is Black with People“ müssen die Zuschauer mitspielen. Im Tanzhaus NRW traf er damit am Wochenende voll ins Schwarze.

Wie viel Fremdheit ertragen wir? In „Suddenly Everywhere is Black with People“ können wir es testen. Denn – anders als im klassischen Tanz – kommen uns die Performer sehr nahe, und bleiben dennoch unnahbar. Durch ihr dunkles Make-Up sehen wir nur einzelne Züge von ihnen: ein tiefblaues, starr auf uns gerichtetes Auge oder Zähne, die für einen kurzen Moment aufblitzen. Es bleibt aber keine Zeit, einen Tänzer so richtig zu erfassen. Nicht mal nach dem Applaus, von dem sich womöglich einige Zuschauer erhoffen, die Tänzer noch einmal im Hellen zu sehen. Sie kommen nicht wieder. Dann ist es fast so, als wären sie nie da gewesen.
Doch was sind sie? Manchmal erscheint dieser laut atmende Körper fast bedrohlich: mit voller Wucht rennen die Tänzer auf die Zuschauer zu, sodass einige von ihnen sich schon hinter den Neonröhren verstecken, um nicht zur Zielscheibe zu werden. Andere bleiben fast wie angewurzelt im Raum stehen, schauen den Tänzern in die Augen, so als wollten sie sagen: „Ich bleibe hier, du machst mir keine Angst“. Es geht allerdings niemand. Zu groß ist die Neugier in uns, das Fremde nur einmal kurz zu erhaschen, es für einen kleinen Moment lang im eigenen Nacken atmen zu hören. Und wenn man sich dann umdreht, ist es weg.
Doch es gibt auch die Momente, in denen die Sentimentalität, das Gefühl von Mitleid und gleichzeitig Ohnmacht über uns hereinbrechen. So zum Beispiel, wenn einer der Performer verzweifelt nach etwas zu suchen scheint, auf dem Boden herumkriecht und den Zuschauer hilfsbedürftig ansieht. „Wie gehen wir denn jetzt damit um? Können wir diese kreatürliche Person anfassen, sie an die Hand nehmen? Oder werden wir dann dreckig?“, wird sich so mancher Besucher gefragt haben. Und da wären wir auch bei dem Statement, das Evelin an uns abgeben will: Am meisten sind wir ja doch mit uns selbst beschäftigt. Wo treten wir hin, wenn das Fremde über uns herfallen will? Treten wir nach rechts oder links? Haben wir Angst davor, umgerannt zu werden und davor, einfach mal anzupacken und zu helfen?

Dass Evelin versucht, sein Stück auch auf eine politische Ebene zu heben, ist demnach mehr als sinnvoll. Dennoch macht der Choreograf, der aktuell auch an der Amsterdamer Schauspielschule „de Theaterschool“ lehrt, nicht den Fehler, sein Tanzstück als plakative Lampedusa-Nummer zu verkaufen. Er lässt den Zuschauer selbst entscheiden und gewährt ihm einen intimen Einblick. Was dieser daraus macht, ist ihm überlassen. Auch die Sexualität lässt Evelin vollends weg. Zwar sind die Performer nackt, es hätte allerdings auch keinen wesentlichen Unterschied gemacht, wenn sie Kleidung getragen hätten.
Allerdings: Dass ein Choreograf sich schonungslos mit der Frage nach dem Fremden auseinandersetzt, ist keine Neuheit mehr. Marcelo Evelin bindet den Zuschauer aber so mit in sein Stück ein, dass sogar echte Gefühle wie Angst, vor allem um den eigenen Körper, aufkommen. „Suddenly Everywhere is Black with People“ hält uns, den Zuschauern, den künstlerischen Spiegel vor, und das macht das Stück am Ende auch so interessant. Es ist ein Experiment mit unserer selbst.

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