Über Louise Lecavalier/Fou Glorieux „Battleground“

Wann: 13. Februar 20:00 (Uraufführung) + 14. Februar 18:00
Wo: tanzhaus nrw

Eine Reflexion von Milena Weber

Louise Lecavalier – Tänzerin der Extreme – Tänzerin des widersprüchlichen Ausdrucks. Louise Lecavalier legt Energie frei. Die Energie eines Körpers, der nicht weiblich, nicht menschlich, sondern physikalisch ist. Ihre „Ekstase ohne Erlösung“, wie Journalistin Nicole Strecker schreibt, das exzessive Krampfen, Zittern, Erbeben ist nichts als Ausdruck einer Naturgewalt, die Prinzipen von Ursache und Wirkung nicht kennt, sondern nur endloses Werden als Sein, ein kontinuierliches sich selbst Hervorbringen. Ständiger produktiver Zerfall. So ist es nicht mehr der Körper, der Energie hervorbringt, sondern erst die Energie, die den Körper hervorbringt, fassbar macht, im Raum durch Bewegung konstituiert. Jedes Erzittern als Bewegung ohne Endpunkt entzieht sich der Rationalität des Betrachters, der sich in Ort, Zeit und Bewegung nach Linearität, nach dem momenthaften Stillstand als begreifliche Paraphrase sehnt. Doch Louise Lecavalier lässt uns nicht. Ihre Energie setzt sich mit unserem ungläubigen Unverständnis einer explodierenden Supernova frei, die den dimensionalen Raum paradox in sich verschlingt und die Idee von körperhafter Energie als wahnwitzig vernichtet. Dennoch hat sie einen Körper. Er erzittert, deutet und durchläuft Richtungen. Direktiven, die immer auch schon die Gegenbewegung wahren, andeuten, durchleben – es sind mathematische Geraden. Es wird abstrus. Das Lichtdesign von Alain Lorte ist wortwörtlich eine andere Dimension. Weiße Linien in die Tiefe des Raumes, Technobeats zwischen Stagnation und Klimax und Louise Lecavalier, stetig den Raum durchquerend, erinnern an das Computer-Tennisspiel „Pong“ der 70er – der Urtypus lustvoller Richtung im abstrakten Raum. Eine andere Art Urknall. Digital-bizarr in seiner scheinbar zeitlosen, ortlosen, sinnlosen, repetitiven Eindeutigkeit. Und dann doch die unergründliche menschliche Faszination für deterministische Variation. Alain Lortes Licht addiert Dimension, es sind Matrizen, in denen Louise Lecavaliers Körperrichtungen wie Vektoren aufscheinen. Ihr physischer Leib avanciert zum geometrischen Körper. Koordinatensysteme, endlose Schachfelder versetzten das Bühnengeschehen in den abstrakten Raum des Denkens, in den mathematischen Raum, wo nichts real, aber alles wahr sein muss. Und genau dort findet die Novelle von Italo Calvino statt, „Il cavaliere inesistente“ – der Kämpfer, der nie existiert hat – in einem Raum, in dem Bewegung Existenz bedeutet. Sein Körper und sein Kampf sind irdisch, menschlich, schwitzend. Wie in einem Boxring werfen sich Louise Lecavalier und Robert Abubo ineinander, verkeilen sich in den Feind. Sind zwei Teile eines Ganzen, das nur aufeinander zu prallen vermag, ohne verschmelzend ineinander zu überzugehen, nicht fähig sich endlich zu lösen oder aufzulösen. Und doch greifen sie ineinander in ihrer selbstverlorenen Rastlosigkeit. Immer wieder gehen sie an den Bühnenrand, setzen sich, laden sich neu auf, betrachten das Schlachtfeld. Was bleibt, wenn das Wirken nie endet? Und so tritt der zerfallende, wütende, aufbegehrende, menschliche Leib in den Krieg mit dem Abstraktum. Ein Krieg, der auch in den Zuschauerkörper eingeschrieben ist. Ein Krieg, um den der Leib zu weinen vermag, jedoch der Verstand nie zu fassen.

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Eine Antwort zu Über Louise Lecavalier/Fou Glorieux „Battleground“

  1. Wunderwaldverlag schreibt:

    Hat dies auf Wunderwaldverlag rebloggt.

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